Marc Quinn in Berlin

Die Ausstellung von Tapisserien, einer Skulptur und neuen Gemälden markiert die erste Solopräsentation des britischen Künstlers Marc Quinn in Berlin.

„Was die Werke, die ich in Berlin zeige verbindet, ist mein Interesse daran, dass Bilder, besonders Bilder der Massenmedien, ein Eigenleben entwickeln, sobald sie in großem Stil verbreitet werden.“ (Marc Quinn)

Marc Quinn Mirage
Marc Quinn Mirage,2009,Patinated bronze,226 x 143 cm (88.98 x 56.3 in)Photo: Artist’s Studio
Courtesy: Galerie Thaddaeus Ropac,Paris/Salzburg© Marc Quinn

Unter den Werken ist Mirage, eine Skulptur, die auf einem Foto eines Gefangenen des berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad basiert. Sie ist nicht nur Abbild einer realen Person, sondern birgt vielfältige Assoziationen. „Sie sieht aus wie ein verhüllter Christus, ein Bild von Vergebung und unterschwelliger Kreuzigung,“ erzählt der Künstler. Sie nimmt Bezug auf Darstellungen von Ungerechtigkeit und Leiden, wie man sie in der gesamten Geschichte der Kunst findet. Darüber hinaus, erklärt Marc Quinn, „war es verblüffend, dass das Bild [des verhüllten Gefangenen mit ausgestreckten Christusarmen ] sofort zu einer Ikone oder einem Sinnbild wurde“.

Natürlich haben historische Ereignisse Einfluss darauf, wie in den Medien berichtet wird. Die große Frage unserer Tage lautet indes: Wie beeinflussen Bilder der News-Medien den Verlauf von Ereignissen? Was passiert, wenn die Bilder von Anarchie und Revolution, mit denen wir ständig bombardiert werden, unser Denken besetzen? Wenn sie unsere Haltung zu Orten beeinflussen, an denen wir nie gewesen sind, oder zu Menschen, denen wir nie begegnet sind?

Mit The Creation of History zeigt Quinn eine Serie von Tapisserien, die Szenen von Aufständen und Revolten in unterschiedlichen Städten darstellen. Darunter sind Molotow-Cocktail werfende Männer auf dem Maidan-Platz in Kiew (2014), Demonstranten vor brennenden Schauplätzen in Istanbul (2013), Athen (2009 und 2011), London (2011), Rio de Janeiro (2013) und Bombay (1992) sowie ein brennendes Konterfei von Hosni Mubarak (2011).

Marc Quinn
Marc QuinnThe Creation of History(Kiev, 22 January 2014),2014,Jacquard tapestry,250 x 375 cm approx.Photo: Marc Quinn StudioCourtesy: Marc Quinn Studio
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Marc Quinn, The Creation of History(Istanbul, 11 January 2013),2014,Jacquard tapestry,
243 x 182 cm Photo: Marc Quinn Studio. Courtesy: Marc Quinn Studio

Jahrhundertelang galt die Historienmalerei als höchste und edelste Kunstgattung. Die dargestellten Szenen preisen traditionell die Tugenden, Macht und Herrschaft des Auftraggebers. Historiengemälde hingen an den Wänden von Schlössern, um die Stellung des Schlossherrn zu bekräftigen. Marc Quinns Tapisserien kehren das Prinzip um, auf mehrfache Art: erstens beziehen sich die in der Serie The Creation of History dargestellten Unruhen immer auf Aufstände, die sich aus der Gesellschaft heraus entwickelten und nicht von einem Machthaber angeordnet wurden. Zweitens hängen die Tapisserien, anders als traditionelle Historiengemälde, nicht an der Wand, sondern liegen auf dem Boden. So kann man sie leicht zusammenrollen und mitnehmen. Dieses nomadische Element des Werks macht deutlich, wie schnell Dinge um die Welt reisen. Und schließlich kann man Tapisserien nicht nur anschauen, sondern auch betreten. Und mit jedem Schritt nützen sich die Tapisserien ab, so wie Storys in den Nachrichten irgendwann in ferne Erinnerung entschwinden. „Was mir wirklich auffällt“, sagt der Künstler, „egal, wie grauenvoll eine Schlagzeile sein mag, irgendwann gerät sie in Vergessenheit. Mit anderen Worten: bei den Tapisserien geht es auch um Geschichte als Erinnerung.“

News Clouds ist eine neue Serie von Gemälden mit schönen blauen Himmeln, gemalt nach eigenen Fotos des Künstlers. Unter dem Motiv – quasi als Fußnote – zitiert Quinn eine Schlagzeile des Tages, an dem das Foto gemacht wurde. Die zitierten Katastrophen bilden einen starken Kontrast zum herrlichen Himmel mit seinen hell schimmernden weißen, flauschigen Wolken. Die Anregung zu dieser Gemäldeserie gaben das Ölbild Landschaft mit dem Sturz des Ikarus (um 1555-68) von Pieter Brueghel d. Ä. und W. H.

Marc Quinn News Cloud 24/1/2015, 2015, Oil on canvas, 61 x 85 cm Photo: Marc Quinn Studio Courtesy: Marc Quinn Studio
Marc Quinn,News Cloud 24/1/2015,Oil on canvas,61 x 85 cm. Photo: Marc Quinn Studio Courtesy: Marc Quinn Studio

Audens Gedicht über dieses Bild, Musée des Beaux-Arts. Bei Brueghel wird der Sturz des Ikarus ins Meer zur unbedeutenden Nebensache, für Auden ist die Szene ein Beispiel dafür, „wie alles sich gelassen vom Unheil abkehrt.“ Und genau dieses Zitat bringt die ganze Ausstellung auf einen Punkt. Denn Marc Quinns Arbeiten erinnern uns daran, dass die Welt sich weiter dreht, trotz aller Gräuel, die gleichzeitig auf ihr geschehen. Und sie deuten an, dass letztlich auch die grausamsten Ereignisse irgendwann zu Fußnoten der Geschichte werden.

Biographie

Marc Quinn ist einer der führenden Künstler seiner Generation. Unter anderem erkunden seine Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft, den menschlichen Körper und die Auffassung von Schönheit. Mit Self (1991), einer Skulptur seines Kopfes, gegossen aus rund 4,5 Liter seines gefrorenen Bluts, wurde Quinn im Jahr 1991 schlagartig bekannt. Zu weiteren von Kritikern gefeierten Werken zählen Alison Lapper Pregnant (2005), eine fünfzehn Tonnen schwere Marmorstatue von Alison Laper – einer körperlich behinderten, schwangeren Frau –, die auf dem vierten Sockel am Trafalgar Square in London ausgestellt war und Siren (2008), eine aus reinem Gold hergestellte skulpturale Darstellung von Kate Moss, die im British Museum in London zu sehen war. Marc Quinn stellte in internationalen Museen und Galerien aus, darunter der Tate Gallery (1995), der Fondazione Prada in Mailand (2000), dem Musée Océanographique in Monaco (2012) und dem Arter Space for Art in Istanbul (2014). In seinem gesamten Werk beschäftigt sich Marc Quinn immer wieder mit Ideen und Themen zum menschlichen Körper. Zu anderen wichtigen Themen gehören Wachstumszyklen und Evolution, vor allem im Hinblick auf aktuelle Themen wie Genetik, Manipulationen der DNA, sowie das Leben, der Tod und Identität. Der Künstler arbeitet mit einer großen Reihe an unterschiedlichen traditionellen und nicht-traditionellen Materialien. Im Zentrum des Werkes von Marc Quinn steht die Materialität des Objekts, sowohl in ihrer elementaren Komposition als auch in der äußerlichen Erscheinung.

Die BOX ist ein Freiraum für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen. Darüber hinaus bietet die BOX vier Künstlerateliers, die sie zu einer lebendigen Produktionsstätte der Kunst machen. Initiiert wurde die BOX von Carolina Mojto, für die Ausstellungen verantwortlich ist Dr. Lena Maculan.

nstallationsansicht  Marc Quinn – History Painting,  BOX Freiraum, 1.5.-17.6.2015 Zu sehen:  The Creation of History (Kiev, 22  January 2014);  Mirage; Newscloud 24/1/2015 Photo: Bernd Borchardt, Berlin und  BOX Freiraum
InstallationsansichtMarc Quinn – History Painting, BOX Freiraum, 1.5.-17.6.2015Zu sehen:The Creation of History (Kiev, 22January 2014); Mirage;Newscloud 24/1/2015Photo: Bernd Borchardt, Berlin und BOX Freiraum

MARC QUINN
HISTORY PAINTING
Eröffnung: 1. Mai 2015, ab 18 Uhr
Ausstellung: 2. Mai bis 17. Juni 2015

BOX Freiraum 
Öffnungszeiten: Mittwoch – Freitag von 15 – 19 Uhr
Boxhagenerstr. 96 (im Hof der 93)
10245 Berlin – Friedrichshain
www.box-freiraum.berlin

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