Die Ausstellung Rohkunstbau findet dieses Jahr zum 21. Mal statt. Zum Thema „Apokalypse“ werden auf Schloss Roskow im Landkreis Potsdam-Mittelmark vor historischer Kulisse weitgehend ortsspezifische Arbeiten von zehn Künstler/innen aus acht Nationen gezeigt.
Im Fokus der Auseinandersetzung mit der Apokalypse steht der Übergang: in jedem Ende liegt ein neuer Anfang. Die Themenwahl für den XXI. Rohkunstbau knüpft lose an Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an: Vielmehr als um eine exakte Interpretation der „Götterdämmerung“, dem vierten und letzten Teil des „Ring“, geht es darum, den Gedanken Wagners vom Ende und dem darauffolgenden Neubeginn aufzugreifen. Seit 2011 steht Wagner Pate für die Ausstellungsthemen von Rohkunstbau. Nachdem bereits Künstler/innen eingeladen wurden zu den Themen Macht (2011), Moral (2013) und Revolution (2014) zu arbeiten, folgt 2015 „Apokalypse“.
Der Veranstalter, die Heinrich-Böll-Stiftung, ließ uns einen Blick hinter die Kulissen während des Aufbaus werfen.
Die Apokalypse fügt sich als Thema an diesen Ort. Hans-Hermann von Katte, Mitglied der Familie von Katte, die das Schloss 1723 hatte erbauen lassen, wurde 1730 auf Befehl von König Friedrich I. hingerichtet, nachdem von Katte dem Sohn des Königs zur Flucht vor seinem Vater verholfen hatte. Bis 1945 hing das Richtschwert im Schloss, die Künstlerin Christiane Möbus bezieht sich in ihrer Arbeit darauf.
Der Thematik von Untergang und dem darauffolgenden Neuanfang haben sich die teilnehmenden Künstler/innen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln genähert. Die künstlerischen Auseinandersetzungen kreisen um Themenfelder wie Familie, Macht, gesellschaftliche Verhältnisse, Naturkatastrophen oder dem Kreislauf des Lebens.
Das kroatische Künstlerduo Damir Žiž ić | Kristian Kožul arbeitet seit 2013 an gemeinsamen künstlerischen Projekten. Im Rahmen von Rohkunstbau zeigen sie die Installation „#SUMMERSUNLOVE“. Aus acht großen Muscheln ertönt kommerzieller Sommertechno, grau in grau stehen die Objekte verteilt im Raum. Es sind Muscheln, in deren Öffnungen nicht einfach nur Lautsprecher eingesetzt sind. Aus den Muschelöffnungen quillt außerdem geschwürartig und wülstig Bauschaum hervor und zerstört dadurch die Möglichkeit eines perfekt gestalteten Objektes. Die in der Installation abgespielten Sounds sind so vermutlich ähnlich an den Stränden rund um das Mittelmeer zu hören; Sounds, die zu dem Versprechen eines leichten und unbeschwerten Sommers wummern. Dieses Versprechen von Unbeschwertheit lockt jedes Jahr Touristenmassen in Länder wie Kroatien, doch die dargebotene Verführung steht der tatsächlichen Situation des Landes diametral entgegen: ein instabiler Arbeitsmarkt, schlechte Lebensbedingungen und die Privatisierung öffentlicher Räume passen nicht zu dem Bild, mit dem Touristen angelockt werden sollen. Mit #SUMMERSUNLOVE greift das Duo Žiž ić | Kož ul diese Phänomene von Verlockung und Absturz auf und schafft mit seiner Arbeit einen Raum, in dem der Betrachter in eine paradoxe Welt von Marketing und Ausverkauf und in eine nervenaufreibende
Geräuschkulisse entlassen wird.
Die Moskauer Künstlerin Olga Chernysheva zeigt in ihren Arbeiten den Menschen der postsowjetischen Gesellschaft und die verschiedenen Auswirkungen dieser Epoche. Den Bildern der Reichen und Schönen, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Medien überfluten, stellt Chernysheva die russische beziehungsweise sowjetische Tradition des Interesses am Leben der einfachen Leute gegenüber: In Zeichnungen, Fotografien und Videos rückt sie jene Menschen in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit, die aus verschiedenen Gründen „unsichtbar“ zu sein scheinen. Im Film „Trashman“ zeigt die Künstlerin einen Ausschnitt aus den neuen Bedingungen des Moskauer Lebens, das u.a. von Massenkultur und Arbeitsmigration geprägt ist: in einem Vorführungssaal eines Moskauer Kinos steht ein junger Mann aus Zentralasien während des Abspanns am Ausgang des Saals. In den Händen hält er eine Mülltüte, die er für die Kinobesucher aufhält, damit diese ihre Trinkbecher und anderen Abfall bei ihm entsorgen können.
An mehreren hundert Nylonfäden hängt der Künstler Miguel Rothschild eine dreimal drei Meter große Stofffläche auf. Auf dieser ist aufgewühltes Meer zu sehen: „Die Flut“ heißt das Werk, das Rothschild extra für Rohkunstbau entwickelt hat. Das scheinbar Unfassbare bildet Miguel Rothschild als Objekt ab, der Betrachter kann um die Flut herumgehen, sie von unten wie von oben betrachten. Die Wellen der Wasseroberfläche werden durch Nylonfäden geformt, die mittig im Raum aufgehängt sind. Die Flut ist in ihrer biblischen Erzählung das Ende einer aus den Fugen geratenen Welt und zugleich ein Moment, der einen Neubeginn nötig und möglich macht.
„however this could be the beginning 1 + 2“ heißen die beiden Malereien von Philip Grözinger. Die pastos gemalten Bilder zeigen eine apokalyptische Welt – oder ist es schon die Post-Apokalypse? –, die auch ein unaufgeräumter Vergnügungspark sein könnte. Abstrakte Wesen und fremdartige Flugobjekte aus einer vergangenen Zukunft umkreisen eine weiße Farbspur, die sich auf der Bildoberfläche ausdehnt. Mit quasi surrealistischer Entrücktheit und verschmitzt alltäglicher Beiläufigkeit nähert sich Grözinger in seinen Malereien dem immer drohenden Ende der Menschheit – oder auch schon dem, was auf die Apokalypse folgt. Im Garten von Schloss Roskow zeigt Philip Grözinger eine Wandarbeit, die sich im Verlauf der Ausstellung langsam zersetzen wird.
Film, Malerei und Skulptur lässt Leiko Ikemura für ihre Installation miteinander korrespondieren und bearbeitet auf diese Weise Momente von Wiedergeburt und Bedrohung. Der Film „Cloudgraphy“ zeigt den Mount Fuji, aufgenommen in den 1920er Jahren von dem japanischen Wissenschaftler Masanao Abe. Vor allem die Wolkenformationen, die den Berg immerzu umkreisen und sich dabei in kontinuierlicher Veränderung befinden, interessierten den Wissenschaftler. Die dramatischen Formen der Wolken, das ständige Entstehen und Verschwinden, setzt Leiko Ikemura in Bezug zur Skulptur „memento mori“. Der Körper der liegenden Figur, eher Wesen als Mädchen, zeigt Spuren von Auflösung und trägt den Moment des Übergangs zur Erde, zur Landschaft in sich. Dieses Beziehungsgeflecht von Film und Skulptur erweitert Leiko Ikemura, indem sie das Element Luft vor Ort in Szene setzt: ein Vorhang, bewegt durch Luftstöße, ist skulpturales Element in der von der Künstlerin geschaffenen Raumsituation in Roskow.
Silberner Metallschimmer dominiert die Arbeit von Philipp Lachenmann – inspiriert von der militärhistorischen Vergangenheit der Familie von Katte, die Anfang des 18. Jahrhunderts Schloss Roskow errichtete und deren Mitglieder hohe Ränge in den Armeen unter den jeweiligen Königen bekleideten. Auf einer mit Blattsilber überzogenen Bildfläche ist die Zeichnung einer Militärchoreografie zu sehen. Erste Bewegung, zweite und dritte Bewegung – die Zeichnung ist eine Anleitung dafür, wie sich Soldaten für repräsentative Ereignisse in verschiedenen Formationen nacheinander zu organisieren haben. Der Berechnung militärischer Bewegung stellt Lachenmann drei Polyeder gegenüber, die mit silberner Ölfarbe bemalt sind. Die Farbe auf den mathematischen Körper weist allerdings Risse auf, die sich unregelmäßig über die Polyeder ziehen. Lachenmann spannt mit seiner Arbeit zwischen Leinwand und Polyedern einen Raum auf, in dem sich der Betrachter zwischen Repräsentation, Kontrolle, mathematischen Körpern und einer rissigen Oberfläche verorten muss.
Dominik Lejman zeigt im Rahmen der Ausstellung Apokalypse sowohl ein Video-Mural als auch eine Arbeit , in der für ihn typischen Kombination: Malerei, auf die Video projiziert wird. Die von ihm entwickelten Videos zeigen Hubschrauber, wie sie über einer vom Künstler nicht weiter definierten Situation schweben. Lejmans „video-painting“ zeigt Ballettänzerinnen in einem Bewegungsablauf, der an eine Explosion erinnert. In bisherigen Arbeiten beschäftigte sich Lejman unter anderem mit der (Un-)Möglichkeit politischer Kunst oder mit Architektur und deren Einfluss auf die Bewegung von Menschen.
In der Mitte des Raumes, den Christiane Möbus zum XXI. Rohkunstbau mit einem mehrteiligen Kunstwerk bespielt, steht ein alter Campingtisch, auf dem ein trichterförmiger Korbsessel steht. Auf dem Boden darunter liegen fünf aus Aluminium gegossene Kürbisse. „Heinrich VIII.“ heißt die Installation von Christiane Möbus, die neben dem Thronensebmle auch drei in sich zusammenfallende bzw. noch im Aufbau befindende Kachelöfen, eine Nachbildung des Katte-Richtschwerts und eine Fotografie des Malers Sonderborg zeigt. In assoziativer Kombination dieser Objekte und Bilder entwickelt Chistiane Möbus ein visuelles Narrativ, mit dem sie unter anderem auf das Schicksal der Familie Katte reagiert, das von der Hinrichtung Hans-Hermann von Katte im Jahr 1730 gezeichnet ist.
Im Garten von Schloss Roskow zeigt der britische Bildhauer Daniel Silver die Skulptur „The Artist, His Father and His Son“. Ein Kind sitzt auf der Schulter einer Person, bei der unklar bleibt, ob es der Künstler selbst ist oder der Vater. Die formale Ausarbeitung der Figuren bleibt skizzenhaft, die Oberfläche ist bewegt und scheint zu schmelzen: Furchen, Kratzer und Wölbungen stehen in einer chaotischen Ordnung nebeneinander und lassen dennoch einzelne Gliedmaßen oder Gesichtszüge erkennen. Durch diese Oberflächenbehandlung werden die körperlichen Grenzen der dargestellten Personen aufgelöst und verschmelzen miteinander zu einem Ganzen, zu einem Guss. Diese formalen Aspekte sind übertragbar in Auseinandersetzungen mit Geburt und Tod – scheinbaren Anfangs- und Endpunkten, die im Miteinander der Generationen ineinander übergehen. Die einzelnen Ereignisse fügen sich zusammen zu einem großen Ganzen, zu einer sich fortsetzenden Erzählung.
Die Zeichnungen von Sandra Boeschenstein beeindrucken sowohl durch ihre zeichnerisch-philosophische Auseinandersetzung als auch durch ihre poetische und besondere formale Umsetzung. Für die Ausstellung Rohkunstbau hat die Künstlerin die 29-teilige Zeichenserie „Apokalypse. 29 zarte Leibesvisiten“ entwickelt. Darin setzt sie die Apokalypse ins Verhältnis zu unterschiedlichen Phänomenen und Motiven wie dem Urknall, Butter, Mut, Kühen oder der Tätigkeit „graben“. So ist auf einem der Bilder eine „Reset“-Taste zu sehen, ein Schalter für den Neustart. Darüber schwebt, als rund wimmelnder Schwarm, die Apokalypse und am unteren Bildrand steht geschrieben: „ambitionierte Apokalypse staunt über die Kompaktheit einer Reset-Taste.“ Sandra Boeschenstein fragt in ihren Arbeiten nach der Beschaffenheit des Moment des Übergangs und begibt sich zeichnerisch auf die Suche nach dem Wesen der Apokalypse.
Sandra Boeschenstein, Apokalypse. 29 zarte Leibesvisiten, 201529-teiliger Zyklus, je 57,5 x 37,5 cm, Tusche und teilweise Ölfarbe auf PapierFoto: Eric Tschernow© Sandra Boeschenstein. Courtesy of the artist
Exklusiv zum 21. Rohkunstbau fertigt Philip Grözinger Linolschnitte an, dessen Motiv sich an den in der Ausstellung gezeigten Malereien orientiert. Die Drucke erscheinen als nummerierte Edition in einer Auflage von 50 Stück und können zur Eröffnung am 20. Juni 2015 erworben werden. Die Drucke sind vom Künstler selbst handgedruckt und unterzeichnet.
Direktor: Dr. Arvid Boellert | Kurator: Mark Gisbourne
Ort: Schloss Roskow | Dorfstraße 30 | 14778 Roskow
Information: 0331-2005780 | Web: www.rohkunstbau.de
Ausstellung: 21. Juni 2015 – 06. September 2015, Schloss Roskow
Eröffnung: 20. Juni 2015, 15.00 Uhr
Öffnungszeiten: jeden Samstag und Sonntag 10-18 Uhr Eintritt: 8 Euro, ermäßigt 5 Euro, Kinder und Jugendliche bis 12 Jahre freier Eintritt.
Schüler/innen, Arbeitslose und Studierende sowie Schwerbehinderte erhalten Ermäßigung bei entsprechendem Ausweis.
Bewohner/innen aus Roskow erhalten gegen Vorlage ihres Ausweises ebenfalls den ermäßigten Eintrittspreis.