Der Spielfilm “Lotte” wird auf der diesjährigen Berlinale – Perspektive Deutsches Kino – präsentiert. Wir sprachen mit Julius Schultheiß – Regisseur, Produzent und Autor des Films.
Lotte (32) führt ein bewegtes Leben in Berlin und stolpert von Mann zu Mann, Wohnung zu Wohnung. Als sie eines Nachts in ihre Stammkneipe gerufen wird, trifft sie kurzerhand auf einen fast vergessenen Bekannten. Bald steht fest: Lotte hat eine junge Tochter, die sie kurz nach der Geburt im Heimatort zurückließ. Die junge Frau steht wenig später vor der Tür und möchte wissen, warum Lotte die Entscheidung zur Flucht traf.
Dein Film “Lotte” feiert seine Weltpremiere bei der diesjährigen 66-ten Berlinale als einer von zwölf Filmen im Programm der Perspektive Deutsches Kino. Wie hat es sich angefühlt, als du von der Einladung erfahren hast und wen hast du als erstes angerufen, um davon erzählen?
Als man mich über die Einladung informiert hat, war ich natürlich hocherfreut, hab zum Hörer gegriffen und als allererste Anna, die Cutterin des Films, angerufen. Anschließend den Kameramann, Martin, der gerade, ohne mein Wissen, in den USA war. Ich hab ihn sozusagen im Schlaf erwischt, aber nach meiner Verkündung war er ziemlich schnell wach. Karin Hanczewski, unsere Lotte, hat es kurz danach erfahren.
Du sagst, bei deiner Protagonistin Lotte handele es sich um eine Figur, der eine zweite Chance gewährt wird. Erzähl uns ein bisschen mehr über sie.
Lotte ist eine Herumtreiberin, die sehr leichtfertig mit ihrem Umfeld umgeht. Wenn ihr was nicht passt, lässt sie es gleich sein. Wenn sie etwas nervt, dreht sie sich um und geht. Sie ist sehr ignorant, zieht sich schnell aus der Affäre und achtet auch nicht auf die Gefühle ihrer Nächsten. Gleichzeitig findet sie schnell Anschluss, da sie so etwas ist wie ein “Buddy”, ein Typ, den man in der Bar trifft. Sie trinkt viel, klopft Sprüche und man kann mit ihr Spaß haben. Aber das ist eben alles sehr temporär und nicht nachhaltig. Im Film wird ihre Haltung dann auf die Probe gestellt. Die Figur beschreibt letztlich den Charakterzug der “Ignoranz”, einen Zug, den ich auch an mir auch besonders hasse. Witzigerweise hat das Motiv des Zuges dann auch zu Beginn des Films eine symbolische Bedeutung. Diese äußerliche Bewegung der Maschine und gleichzeitig die Statik der Figur hat mich da interessiert. Sie kommt nicht voran, obwohl sie fährt. Das sollte Lotte in ihrer Figur ebenso repräsentieren.
Spielt das Thema Vorbilder eine große Rolle für dich?
Das hat für mich eine Rolle gespielt. Vorbilder fliegen einem heute jenseits der Familie aus den unterschiedlichsten Ecken entgegen. Es wird von jedem von uns irgendwie ein Vorbild-Charakter verlangt. Lotte entzieht sich aber diesem scheinbar vorgefertigten System. Die “Verantwortung” passt ja zum Begriff des Vorbildes. Diese Angst vor Verantwortung war für Lotte eigentlich zentral. Sie ist unfassbar ängstlich und deshalb bellt sie auch so laut. Sie versucht nicht das zu sein, was die anderen erwarten. Mir fällt ein, dass ich in der Vergangenheit Vorbilder gewählt habe, die sich dann teils zum Gegenteil gewandelt haben. Das war ebenso ein Aspekt, der mir für die Geschichte wichtig war.
Der Film wurde teilweise über Crowdfunding finanziert. Wie waren deine Erfahrungen damit?
Dem Crowdfunding stehe ich mit gemischten Gefühlen gegenüber. Ich wollte das einfach mal ausprobieren und sehen, wie weit man kommt. Viele Vorteile bietet es nicht, denn die ganze Arbeit hat man trotzdem selbst. Man muss die eröffnete Seite selbst mit Text und Bild “befüttern” und sich und sein Projekt darstellen. Die Crowdfunding-Seite bietet so gesehen nur die Oberfläche und natürlich einen Ablaufplan. Letztlich könnte man aber auch einen Blog anlegen und die Leute anschreiben und anrufen, was man ohnehin muss, um genug Fans und Follower zu generieren.
Ich würde es vorerst nicht nochmal machen, weil doch die meisten Förderer aus dem engeren Umfeld kommen. Die Crowdfunding-Seite behält ja dann auch noch einen prozentualen Betrag der Gelder ein. Also man könnte es auch über eine eigene Seite auf den sozialen Plattformen publizieren und damit zu einem gleichwertigen Erfolg gelangen.
Du bist gleichzeitig Regisseur, Autor und Produzent deines Debütfilms. Würdest du sagen, dass deine Vision für “Lotte” Realität geworden ist?
Wenn man den Stoff, bzw. eine Geschichte auf Papier schreibt, hat man ja oftmals eine ideale Vorstellung davon im Kopf, wie der Film im besten Fall aussehen könnte. Wir haben bei diesem Projekt rein visuell allerdings nicht allzu viel festgelegt, ein paar Eckpfeiler und vieles erst am Drehort entschieden. Man muss spätestens beim Drehen mit vielen Kompromissen leben und auch damit arbeiten können. Das betrifft wahrscheinlich große wie kleine Produktionen gleichermaßen. Man kann die Frage daher unmöglich mit “Nein” beantworten, da man sich von Beginn an darauf einstellt, dass sich Handlungen, Dialoge, Drehorte verändern. Diese Veränderungen können einer Geschichte ja auch gut tun, aber als Autor sieht man eben dann diese “Vision” schwinden. Wenn man die Ideen eins zu eins umsetzen könnte, würde dem Material am Ende womöglich der Esprit fehlen. Ich habe mich so gesehen nie auf eine ganz klare Vision eingelassen, da mir die Produktionsumstände bewusst waren. Der fertige Film ist jetzt die Realität und ich bin mit seiner Form zufrieden. Der Film ist definitiv “anders” geworden, als die erste Vision, die erste Blaupause. Vielleicht hat der Film sogar noch etwas mehr gewonnen, als zu Anfang geplant.
Interview: Benjamin Brunken
LOTTE läuft am:
Mo 15.02. 19:30 CinemaxX 3 (E)
Di 16.02. 12:00 Colosseum 1 (E)
Di 16.02. 21:00 CinemaxX 1 (E)
Lotte
Von Julius Schultheiß
Spielfilm | 76 min
Mit: Karin Hanczewski, Zita Aretz, Marc Ben Puch, Paul Matzke, Christine Knispel und Matthias Lamp