Filip Markiewicz und sein “Paradiso Lussemburgo”

“Die ganze Welt ist eine Bühne, aber das Stück ist schlecht besetzt” heißt es mit den Worten Oscar Wildes vor dem Eintritt zum Beitrag Luxemburgs zur 56. Biennale von Venedig im ehrwürdigen Ca’ del Duca am Canale Grande. Und spätestens mit dem Eintritt in den ersten von sechs Räumen, die Filip Markiewicz für das Großherzogtum gestaltet hat, verwandelt sich der Ausstellungsbesucher auch ein Stück weit in einen dieser Schauspieler. Über den schmalen Flur betritt man die Szenografie einer multimedialen Installation voller Zitate jenes “Paradiso Lussemburgo” in das uns der Künstler einlädt.

Text: Thomas W. Kuhn.

Filip Markiewicz View of the exhibition: Antichambersection © Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosar
Filip Markiewicz. View of the exhibition: Antichambersection
© Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosar

Der Titel spielt dabei auf die exzellenten wirtschaftlichen Rahmendaten des kleinen Landes an, das mit knapp über einer halben Millionen Einwohner das höchste Pro-Kopf-Einkommen Europas erwirtschaftet. So hat Filip Markiewicz aus den Anfangsbuchstaben des Titels, “P” und “L”, ein Logo entwickelt, das einer global erfolgreichen Luxusmarke nachempfunden ist und sich als Leitmotiv durch die Ausstellung zieht.

Dieses Logo bildet auch den Rapport auf dem Teppichboden im ersten Raum der Schau. Mit dem Motiv eines kleinen Jungen bedruckt ist dieser Boden ein Zitat aus Stanley Kubricks Horrorfilm “The Shining” und mit Volker Schlöndorffs “Blechtrommel”, die am Ende des Raums von der Decke hängt, wird ein anderer kleiner Junge beschworen, der für Günter Grass zum Protagonisten des ganz realen europäischen Horrors der NS-Zeit wurde.

Filip Markiewicz The Empty Sound of Europe, 2015 Broken drum, coal writings, silver  chain, variable dimensions © Filip Markiewicz / Photo:  Christian Mosar
Filip Markiewicz. The Empty Sound of Europe, 2015. Broken drum, coal writings, silver chain, variable dimensions © Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosar

Im folgenden Raum variiert Filip Markiewicz das Thema Leben als Bühnenstück durch eine Karaoke-Installation, die als Angebot an die Besucher tatsächlich auch wahrgenommen wird und die spätestens hier die Frage nach der Identität stellt, wenn etwa die junge Besucherin in die Rolle der irischen Sängerin Sinead O’Connor schlüpft und ihren Welthit “Nothing compares 2 U” singt. Auch dies ein ironisches Spiel mit der Doppeldeutigkeit der Worte, während der Blick auf eine alte, in Umrissen gezeichnete Karte Europas fällt, in denen die Grenzen vor 1914 beschworen werden. “Nature morte”, setzt der Künstler mit Neonschrift darüber, das in der Malerei das Genre des Stilllebens bezeichnet, im Französischen aber auch “tote Natur” bedeutet, wohl ein Hinweis auf die Hekatomben des 1. Weltkriegs.

PARADISO LUSSEMBURGO . Filip Markiewicz
PARADISO LUSSEMBURGO. Filip Markiewicz

 Filip Markiewicz bettet seine kritisch-ironische Reflektion über Luxemburg in der heutigen globalisierten Welt in einen größeren historischen Zusammenhang ein, der nicht nur relevant ist, um die Lage der heutigen Idee von Nation und Staatlichkeit zu verstehen, sondern auch um die Frage nach dem Verständnis von Individualität aufzuwerfen, das den einzelnen betrifft.

Er selbst ist biografisch zwei Ländern verbunden. Geboren 1980 in Esch-sur-Alzette als Sohn polnischer Einwanderer hat er eine doppelte Enkulturation erfahren. Dabei steht der ehemalige Standort der luxemburgischen Schwerindustrie auch für frühe massive Einwanderungsbewegungen im frühen 20. Jahrhundert in das kleine Land im Herzen Europas. Heute sind über 40 Prozent der etwas über einer halben Millionen Einwohner des Landes ausländischer Herkunft. Wo das Land an sich schon eine Brücke zwischen zwei großen europäischen Kulturräumen bildet, was sich in der beeindruckenden Mehrsprachigkeit zwischen Lëtzebuergesch, Deutsch und Französisch zeigt, stellt sich so eine neue Frage, die auch für viele andere Regionen Europas gilt: Wie wird eine zukünftige Identität aussehen, an der die neuen Mitbewohner des luxemburgischen Staatswesens ebenso beteiligt sind, wie die angestammte Bevölkerung.

Esch-sur-Alzette steht wiederum für die notwendige wirtschaftliche Neuorientierung des Landes in Folge der Krise der europäischen Schwerindustrie. Nach der Textilindustrie war sie der zweite große Wirtschaftszweig früh und massiv der von der Globalisierung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts betroffen war. Luxemburg entschied sich erst in Folge dieser Krise für die dann äußerst erfolgreiche Fortentwicklung der Finanzwirtschaft, die heute unter dem Stichwort “Steuerminimierung” wegen globalisierter Großunternehmen wie Amazon in der Kritik steht.

Filip Markiewicz Sorry, 2015 Dimensions : 250 x 150 cm Crayon sur papier © Filip Markiewicz
Filip Markiewicz. Sorry, 2015
Dimensions : 250 x 150 cm, Crayon sur papier © Filip Markiewicz
Filip Markiewicz View of the exhibition: The Forestsection, with The Life and Death  of The Forest, 2015 © Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosar
Filip Markiewicz. View of the exhibition: The Forestsection, with The Life and Deathof The Forest, 2015© Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosar

Im dritten Raum bildet die dreikanalige Filminstallation “Journey to the Limits of an Identity” vielleicht so etwas, wie den Kern der Ausstellung. Die beiden luxemburgischen Schauspieler Leila Schaus und Luc Schiltz spielen darin ein Paar, das auf den Spuren von Filip Markiewicz Schauplätze in Warschau und Luxemburg aufsucht und dabei auf hohem intellektuellen Niveau Themen der Geschichte und Gegenwart ebenso beleuchtet, wie Visionen für eine Zukunft avancierter Staatlichkeit und Freiheit der Menschen in einer von Toleranz bestimmten Welt. Später in der Ausstellung folgende architektonische Motive, wie der Warschauer Kulturpalast oder die Kathedrale der Stadt Luxemburg, tauchen hier auf und symbolisieren Eckpunkte einer Kritik, die auch das Wirtschaftssystem des Kapitalismus nicht ausnimmt.

Filip Markiewicz View of the exhibition:  Journey to the End of an Identity,  2015 Full HD film installation synchronized  on 3 x projectors Format 2.35 :1, 35 minutes, variable  dimensions © Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosa
Filip Markiewicz. View of the exhibition: Journey to the End of an Identity, 2015
Full HD film installation synchronized on 3 x projectors
Format 2.35 :1, 35 minutes, variable dimensions © Filip Markiewicz / Photo: Christian Mosa

Das junge Paar taucht erneut im letzten Raum der Ausstellung auf, hier nun in einem Film, das eine ausgelassene Party zu dokumentieren scheint. “We have disco in order not to die of the truth…” heißt es hier, während diverse Hits der letzten 40 Jahre zu hören sind. Tatsächlich erschöpft sich die Ausstellung weder in einer pessimistischen Beschreibung der “Festung Europas” die innere Freizügigkeit mit rigider Abschottung nach Außen vereint, noch in einem “mea maxima culpa” seines Heimatlandes, das durchaus den schwierigen Akt der Selbstkritik zu bewältigen sucht. Filip Markiewicz entwirft Kunst, Musik und überhaupt das Leben im Privaten als nach wie vor legitime Refugien, auch wenn diese romantisch-biedermeierliche Vision ihre Brechung erfährt.

Paradiso Lussemburgo. Credit: Atelier d'images - Sven Becker
Paradiso Lussemburgo. Credit: Atelier d’images – Sven Becker

So ist in einer Szene des Films “Journey to the Limits of an Identity” ein Waldstück zu sehen, wo an einer Brücke über einem kleinen Wasserfall der Schlagzeuger Nuno Brito trommelt, während Tania Soubry eine Art improvisierten Ausdruckstanz betreibt: die moderne Fassung des Tanzes einer Nymphe im Wald, Gegenentwurf zu ihren hyperzerebralen Raisonnements in den urbanen Räumen der anderen Filmszenen. Im folgenden Raum, wo ein Fuchs als fabulöse Personifikation der Schläue seine vergoldeten Fänge fletscht, greift ein großes Wandbild das romantische Setting im Wald auf. Aber diesmal ist keine Quellnymphe zu sehen; hier watet ein Mann durch den Bach unterhalb des Wasserfalls dem Betrachter entgegen: der potentielle Wirtschaftsflüchtling, eingespannt zwischen die Worte “Violent Silence”. Die davor befindliche Badewanne mit schmutzigem Wasser und den blutroten Flecken darum herum könnte dann auch das Mittelmeer sein, auf dem das humanistische Versprechen “Europa” vielleicht auf das schärfste mit der Wirklichkeit von Flüchtlingsbooten kollidiert. Denkt man dabei an Dantes monumentale Divina Coemmdia, so mag man sich erinnern, das Paradies wird hier durch die Hölle betreten.

Filip Markiewicz “Paradiso Lussemburgo” ist ein mutiger und bei aller Nachdenklichkeit äußerst sinnlicher Beitrag zur diesjährigen Biennale, der sich in das von Okwui Enwezor aufgespannte Feld von “All the world’s futures” einfügen ließe: poetisch, politisch und ausgesprochen komplex.

Text: Thomas W. Kuhn

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