Lust auf ein bisschen Vintage? Alfred Ehrhardts Vintageprints in Berlin

Alfred Ehrhardt (* 5. März 1901 in Triptis; † 28. Mai 1984 in Hamburg) ist als Fotograf und Kulturfilmer ein herausragender Vertreter der Neuen Sachlichkeit.

Die aktuelle Ausstellung Alfred Ehrhardt – Das Watt zeigt Ehrhardts Erstlingswerk an Hand von 70 Vintageprints aus den 30er Jahren – eine Rarität in der gegenwärtigen Zeit, in der man Vintagefotos über Instagram erstellt und analoge Fotografie in Vergessenheit zu geraten scheint.

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Die 2002 gegründete  ALFRED EHRHARDT STIFTUNG widmet sich der wissenschaftlichen Erschließung von Ehrhardts Werk sowie zeitgenössischer Fotografie und Medienkunst. Der Schwerpunkt des abwechslungsreichen Ausstellungsprogramms liegt in der Präsentation von zeitgenössischen Positionen, die sich mit dem Œuvre Alfred Ehrhardts beschäftigen.

Barbara war zur charmanten Neujahrsfeier in den Stiftungsräumlichkeiten am  20. Januar eingeladen und sprach mit Christiane Stahl, der Leiterin der Alfred Ehrhardt Stiftung, über Fotografie, Sandformen im Watt, das kommende Ausstellungsprogramm…und natürlich über Alfred Ehrhardt.

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C.S

  1. Liebe Christiane Stahl, Sie haben Ihre Doktorarbeit über Alfred Ehrhardt geschrieben. Was fasziniert Sie an Leben und Werk dieses Künstlers?

Es lag mir daran, eine wissenschaftliche Arbeit über einen Fotografen der Moderne zu verfassen, über den nicht viel bekannt ist und zu dem ich Archivrecherche machen konnte, also Detektivarbeit. Gleichzeitig musste dessen Werk so hochkarätig sein, dass man sich über die Jahre hinweg, an denen man an einer solchen Dissertation arbeitet, nicht langweilt. Die Anfänge liegen nun 15 Jahre zurück, die Dissertation ist seit langem beendet, und mich fasziniert die künstlerische Qualität von Ehrhardts streng komponierten und meditativen Landschafts- und Naturaufnahmen unvermindert. Das kann man bei der jetzigen Ausstellung in der Alfred Ehrhardt Stiftung besonders gut sehen: Ehrhardts kompositorisches und bildnerisches Gestaltungsvermögen beruht unter Anderem darauf, dass seine künstlerischen Erfahrungen im Bereich Musik und Malerei sichtbar in sein fotografisches Werk einflossen. Auch überzeugt sein goetheanisch geprägter, naturphilosophischer Blick auf die Formen der Natur, deren Schönheit und Lebendigkeit er im Bildausschnitt prägnant hervorzuheben weiß. Sein weltanschauliches Anliegen, Materielles ins Geistig-Kosmische zu transzendieren, ist einzigartig in dieser Zeit.

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  1. Was erwartet die Besucher in der aktuellen Ausstellung bzw. was war Ehrhardts Idee hinter dieser Serie?

Die Serie Das Watt von 1937 ist Ausgangspunkt für das gesamte preisgekrönte fotografische und filmische Schaffen dieses vielfältigen Künstlers und bildet die »Crème de la Crème« seines fotografischen Werkes, das auch unter den Meistern der Fotografie der Neuen Sachlichkeit Ihresgleichen sucht. Alfred Ehrhardt war ein Multitalent, er war Kirchenorganist, Chorleiter, Komponist, Maler und Kunstpädagoge, bevor er Fotograf und Filmemacher wurde. Nach einem Aufenthalt am Dessauer Bauhaus 1928/29, wo er bei Josef Albers studierte und bei Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer hospitierte, leitete er an der Landeskunstschule Hamburg den ersten Vorkurs für Materialkunde außerhalb des Bauhauses. Erst nach der Entlassung aus dem Hochschuldienst durch die Nationalsozialisten 1933 wandte er sich der Fotografie und dem Film zu. In Cuxhaven, wo er sich in seinem ersten Beruf als Kirchenmusiker verdingte, entdeckte er im vorgelagerten Watt zwischen den Inseln Scharhörn und Neuwerk die Besonderheiten dieser wechselvollen Meereslandschaft. Ihn faszinierten die durch Wind und Wasser täglich neu entstehenden abstrakten Strukturen im Sand, die ihn an den Materialkundeunterricht erinnerten, wo seine Studenten »Struktur, Textur und Faktur« von Materie zu erfassen hatten. Es wurde ihm schnell bewusst, dass die Kamera das unverfänglich zu produzieren imstande ist, was zu malen verboten war. Statt zu Stift oder Pinsel zu greifen, »zeichnete« er nun die abstrakten Formen der Natur mit der Kamera. Mit Hilfe von Motivwahl, Perspektiveins­tellung und Lichtregie überhöhte er die Schätze der »Künstlerin Natur« zu einer vom Menschen gestalteten Kunstform, die der Natur ebenbürtig ist, ohne bloße Kopie zu sein. Breitet man diese Fotografien abstrakter Sandformen im Watt vor sich aus, drängt sich der Gedanke »Chaos und Struktur« auf. Der hier vom Künstler gewählte Bildausschnitt offenbart die immanente Schönheit des sich in so vielfältigen Formen darstellenden Naturgeschehens, während die Zusammenschau der Formvariationen die Verbindung von Mikro- und Makrokosmos erstellt. Er bringt System in die Strukturen und Ordnung in das Chaos der Natur, als wolle er die Welt mit seiner Technik begreifbar machen.

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  1. Ihr Programm ist außerordentlich vielschichtig, die letzten beiden Ausstellungen zeigten Arbeiten von Henrik Spohler und Ute Behrend –welche Künstler zeigen Sie in diesen Jahr?

Der besondere dialogische Ansatz unserer Ausstellungstätigkeit liegt in der Gegenüberstellung von zeitgenössischen Positionen, die sich in Anlehnung an Ehrhardts Werkthemen mit dem Begriff der »Natur« und den »Konstruktionen des Natürlichen« auseinandersetzen, und historischer Fotografie und Filmkunst von Alfred Ehrhardt. Wir zeigen im Frühjahr Hans-Christian Schinks neue Serie Tohoku, mit Bildern der japanischen Tsunami-Region ein Jahr nach der Katastrophe. Im Sommer kommt die Gruppenausstellung “WILD” zum Thema “Das Tier in der zeitgenössischen Fotografie” mit über 30 Künstlern. Und im Herbst folgt eine Ausstellung mit neuen Arbeiten von Michael Wesely, die er eigens für die Alfred Ehrhardt Stiftung konzipiert. Wir freuen uns über jeden Besucher!

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 Interview: Barbara Green

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