Am 2. Juli beginnt in den Räumen der Alfred Ehrhardt Stiftung Berlin die Ausstellung NatureCultures. Kuratiert von Regine Rapp und Christion de Lutz, stellt das Ausstellungsprojekt drei Künstler vor, die den Bereich zwischen Naturwissenschaft und künstlerischer Forschung sowie die Schnittstellen von Kultur und Natur erkunden. Wir durften die beiden Kuratoren und Gründer des Art Laboratory Berlin Fragen zu ihrer Arbeit stellen.
Ihr leitet das Art Laboratory Berlin und kuratiert auch die Ausstellungen. Wie kam es zur Gründung dieser einmaligen Plattform? Wie kann man sich Interdisziplinarität an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst vorstellen?
Art Laboratory Berlin, 2006 von einem internationalen Team von KunsthistorikerInnen und KünstlerInnen als Kunstverein gegründet, versteht sich als eine Plattform für interdisziplinäre Ausstellungsprojekte im internationalen Kontext. Das Hauptinteresse gilt dabei der Präsentation und Vermittlung zeitgenössischer Kunst an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie.
Art Laboratory Berlin verfolgt eine nachhaltige Form der Interdisziplinarität, die über die reine Gegenüberstellung von Kunst und Wissenschaft hinausgeht. Es geht uns darum, konstruktive Synergien zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu schaffen, die einen Mehrwert und eine Transparenz der Fächer ermöglicht. In unseren Ausstellungs- und Forschungsprojekten konnten wir bereits zahlreiche bleibende Netzwerke schaffen, welche beispielhaft für eine produktive Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft sind.
Um nur ein konkretes Beispiel interessanter Art-Science-Dialoge bei Art Laboratory Berlin zu nennen: Im April konnten wir im Kontext unserer Ausstellung zum Thema Mikrobiom einen Dialog zwischen einer Künstlerin und einer Mikrobiologin bauen: die australische Künstlerin Tarsh Bates beschäftigt sich künstlerisch und kulturhistorisch in ihrem Dissertation mit Candida albicans; die Mikrobiologin Dr. Annette Moter, Leiterin des Biofilm Centers des deutschen Herzzentrums an der Berliner Charité, setzt sich mit der mikrobiologischen Struktur innerhalb mikrobischer Netzwerke auseinander – beide haben sich in einem offenen Gespräch bei Art Laboratory Berlin auf eine interessante Weise ergänzt.
Was waren die bisherigen Arbeitsschwerpunkte von Art Laboratory Berlin?
Seit 2012 konzentriert sich Art Laboratory Berlin verstärkt auf eine kuratorische Praxis, die sich mit aktuellen Fragestellungen und Phänomenen des 21. Jahrhunderts auseinander setzt (s.u.). Der anfängliche Arbeitsschwerpunkt in den Jahren 2007 – 2009 brachte folgende Ausstellungsreihen hervor: Kunst & Musik, Kunst & Text, Kunst & Naturwissenschaften, Kunst & Recht. In der Reihe Artists in Dialog ging es um zwei Künstlerpositionen, denen ein Thema, Motiv oder eine künstlerische Strategie der Ausgangspunkt für eine dialogische Ausstellung war. Gleichzeitig war es auch ein Versuch, die herkömmlichen Rollen von KuratorIn und KünstlerIn zu überdenken (seit 2010-11).
2011 präsentierte Art Laboratory Berlin unter dem Titel Sol LeWitt: Artist’s Books die gesamten Künstlerbücher des US-amerikanischen Konzeptkünstlers Sol LeWitt .Die Bücher wurden zum individuellen Studium den BesucherInnen zur Verfügung gestellt. Parallel zur Ausstellung organisierte Art Laboratory Berlin das internationale, interdisziplinäre Sol LeWitt_Symposium, um den Dialog zwischen Kunst & Wissenschaft und Theorie (Forschung) und Praxis (Ausstellung) zu fördern.
2011/12 stellte Art Laboratory Berlin im Rahmen der Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe Time & Technology die aktuellen Themen Technologie und Zeit (-wahrnehmung) im Kontext künstlerischer internationaler Produktion zur Diskussion. Die Entwicklung neuester Technologien in den letzten 25 Jahren hat die Gestaltung unseres derzeitigen Lebens wesentlich geprägt. Die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe fragte nach künstlerischen Beiträgen, welche die neuesten Technologien und damit die veränderten Arbeits- und Kommunikationsformen reflektieren (veränderter Zeitsinn, neue temporale Wahrnehmung).
Von Herbst 2012 bis Sommer 2013 präsentierte Art Laboratory Berlin die Ausstellungsreihe mit Konferenz Synästhesie. Das verstärktes Interesse für das Phänomen der Synästhesie, einer vielfältigen Form der multisensorischen Wahrnehmung, macht sichderzeit sowohl im wissenschaftlichen Bereich als auch in der zeitgenössischen Kunst bemerkbar. Ein auffallend starkes Interesse für gekoppelte Sinneswahrnehmungen ist in zahlreichen aktuellen künstlerischen Arbeiten zu erkennen. (Bezüge zwischen Sound-Farbe, Graphem-Farbe, Vokal-Farbe, Zahl-Farbe, Ort-Olfaktorische, etc.). Die interdisziplinäre internationale Konferenz Synaesthesia. Discussing a Phenomenon in the Arts, Humanities and (Neuro-)Science konnte die Serie bestens abrunden (Juli 2013).
Bis März 2015 präsentierte Art Laboratory Berlin die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe zum aktuellen Thema [macro]biologies &[micro]biologies. Unser Anliegen war es dabei, eine theoretisch ausgerichtete breite Plattform zu schaffen, auf der WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und die Öffentlichkeit eine Diskussion über Begriffe wie Welt, “Natur”, Organismen und unsere Verortung darin führen, in Auseinandersetzung mit dem derzeitigen Diskurs der Lebenswissenschaften. Dazu haben wir ein Publikation der gesamten Reihe mit einem langen theoretischen Beitrag zu allen künstlerischen Positionen herausgegeben, siehe hier.
Eines der anstehenden Projekte, die von euch umgesetzt werden, ist die von euch kuratierte Ausstellung NatureCultures, welche in der Alfred Ehrhardt Stiftung Berlin gezeigt wird. Worum geht es euch bei diesem Projekt? Was reizte euch an der Umsetzung?
Ausgehend vom Thema Natur und der Gattung Fotografie, die grundlegenden Parametern der Ausstellungen der Alfred Ehrhardt Stiftung, haben wir versucht, wichtige internationale künstlerische Positionen zusammen zutragen. Die hier vorgestellten Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich auf höchst unterschiedliche ästhetische Weise in ihrer künstlerischen Forschung mit aktuellen ökologischen Themen.
Verbindend für alle Positionen und unser kuratorisches Konzept ist der Begriff „naturecultures“ der amerikanischen Wissenschaftlerin Donna Haraway. Sie appelliert damit für eine Überwindung der unproduktiven Dichotomie von Kultur und Natur. Die Auswirkungen menschlicher Technologie dringen ja in alle Bereiche der Umwelt ein und haben das Gleichgewicht und damit auch den Aufbau dessen, was wir einmal „Natur“ nannten, längst drastisch verändert. Unser Ausstellungsprojekt stellt drei Künstler vor, die den Bereich zwischen Naturwissenschaft und künstlerischer Forschung sowie die Schnittstellen von Kultur und Natur erkunden.
Welche anderen Projekte sind bei euch gerade aktuell?
Bei Art Laboratory Berlin verfolgen wir derzeit eine neue Reihe mit Ausstellungen und Veranstaltungen, die wir seit Februar bis nächstes Jahr zeigen – Nonhuman Subjectivities. Ausgehend von gegenwärtigen philosophischen Theorien zur Objekthaftigkeit und einer Kritik am Anthropozentrismus richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf nichtmenschliche Akteure.
Die erste Ausstellung The Other Selves. On the Phenomenon of the Microbiome, die erste unserer neuen Reihe, zeigte im Februar bis April 2017 verschiedene künstlerische Positionen zum komplexen mikrobiellen Milieu am und im menschlichen Körper. Wissenschaftler behaupten, dass es genauso viele Bakterien wie menschliche Zellen in unserem Körper gibt. Das Phänomen des Mikrobioms wirft also eine Menge grundlegender Fragen über die menschliche Identität und unsere Beziehung zu unseren multiplen Entitäten auf. Doe Künstler_innen (aus Kanada, Australien, Slowenien und Portugal/ USA) haben auch bemerkenswerte Weise dieses aktuelle Thema auf ästhetische Weise umgesetzt.
Die aktuell (bis 17.7.2016) bei uns gezeigte Ausstellung On Animals. Cognition, Senses, Play untersucht zwei Arten von Tieren, die eine beeindruckende kognitive Nähe zum Menschen aufweisen: Primaten, unsere nächstliegenden Verwandte, und Hunde, mit denen wir Menschen eine symbiotische Beziehung eingegangen sind. Allen gemeinsam ist der von Donna Haraway formulierte Begriff des „Miteinanderhandelns“: Durch die Überwindung konventioneller Dichotomien von Natur/Kultur, Mensch/Tier oder Subjekt/Objekt geht es vielmehr um ein gemeinsames Agieren.
Die Ausstellung stellt zwei starke Positionen vor – Rachel Mayeri aus Los Angeles und Maja Smrekar aus Ljubljana – die auf bestimmte Strategien des Narrativen und das Phänomen der Immersion setzen, um sich dadurch der Perspektive eines nichtmenschlichen Gegenübers anzunähern. Sie stellen den Instinkt und die Sinne des Nichtmenschlichen ins Zentrum ihrer künstlerischen Forschung. Mittels Performance, Film und Kunst-Naturwissenschafts-Kollaborationen versuchen beide, die Kognitionsfähigkeit des Nichtmenschlichen zu übersetzten.
Vielen Dank!
2. Juli bis 4. September 2016
Eröffnung: Freitag, 1. Juli 2016 um 19.00 Uhr
ALFRED EHRHARDT STIFTUNG | Auguststr. 75 | 10117 Berlin | +49 (0)30 200953-33, Fax -34 | Öffnungszeiten: Di bis So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr | info@alfred-ehrhardt-stiftung.de | www.alfred-ehrhardt-stiftung.de
Begleitende Veranstaltungen:
Sonntag, 3. Juli 2016, 14.00 Uhr: Künstlergespräch
Sonntag, 24. Juli, 14.00 Uhr: Kuratorenführung
Sonntag, 4. September, 14.00 Uhr: Finissage und Kuratorenführung
Der Eintritt ist frei. Wir bitten jeweils um Voranmeldung per e-Mail.