Kuratorin Lydia Korndörfer im Interview mit dem Künstler Fabian Knecht.
Am 19. Juni 2015 eröffnet im Schloss Sacrow die Ausstellung „Opening on the foam“. Sie zeugt von der Relevanz der historischen Romantik für die zeitgenössische Kunst. Im romantischen Sinne zelebrieren die Werke das Naturerlebnis oder lassen Rückenfiguren, Wolken- und Nebelmeere als latente Verweise auf Gewalt und Krisen des 20. und 21. Jahrhunderts auftreten.
Kuratorin Lydia Korndörfer im Interview mit dem Künstler Fabian Knecht.
Die Aktionen von Fabian Knecht lassen immer wieder Anspielungen auf die romantische Bildsprache erkennen. Die von ihm gezeichneten Szenarien wirken jedoch in anderer Manier entrückt und weltfremd. Der Künstler überschreitet Konventionen und Grenzen, schafft ikonische Bilder und verankert den Ausnahmezustand im visuellen Gedächtnis.
Das Monopol-Magazin zählte deine Aktion „FREISETZUNG“ zu den bedeutendsten Kunst-Momenten des Jahres 2014. Davor hast du das Berliner Stadtbild bereits mehrmals irritiert und mit Andreas Greiner die Werk-Reihe „ENTLADUNG“ realisiert. Wie kam es zum Spiel mit dem Feuer?
2012 waren Andreas und ich für eine Ausstellung auf dem Tempelhofer Feld eingeladen. Seitens der Veranstalter und Kuratoren hieß es, dass es nicht möglich sei etwas in den Boden zu stecken oder zu verankern, weil noch etliche Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg unter dem Feld vermutet werden. Wir haben uns daraufhin gedanklich die Extremsituation vorgestellt und sie real simuliert. Absurderweise war es einfacher, eine Explosion auf dem Feld zu realisieren, als einen Gegenstand im Boden zu verankern.
Wichtig war uns bei der Werkreihe, dass die Explosion nicht zum Feuerwerk wird – sprich, dass man ohne Warnung Zeuge dieser ästhetischen Erfahrung wird. Natürlich hatten wir eine behördliche Genehmigung, aber das Wissen um die Aktion wurde vorher weder an die Besucher der Ausstellung, noch an die Passanten auf dem Feld weitergegeben. Wir hatten auch eine Absperrung, aber das Gras war so hoch, dass man sie nicht sehen konnte. Die Explosion, die wir auch als ephemere Skulptur betrachten, ist somit ohne Ankündigung in das Leben der Menschen getreten. Und nicht nur der Menschen, die gerade Kunst sehen wollten.
Die Arbeiten bieten einen gleichermaßen schockierenden und poetischen Zugang zum alltäglichen Umfeld. Pressebilder von Terroranschlägen überlagern sich mit Assoziationen zu Caspar David Friedrich und William Turner. Otto Piene – mit dem du die einmalige Möglichkeit zur Präsentation auf dem Dach der Neuen Nationalgalerie gemein hast – und Yves Klein richteten tatsächlich Flammen auf die Leinwand. Gewissermaßen scheinen auch dir Feuer und Rauch zum Malwerkzeug und die Stadt zum Tableaux zu werden. Wieweit reicht der Einfluss der Malerei auf deine temporären Skulpturen?
Man macht bei diesen Arbeiten eine ästhetische (Grenz-) Erfahrung. Die Ambivalenz von Schönheit und Schrecken wird auf ein Maximum ausgereizt, weil man nicht weiß, dass es sich um Kunst handelt. Das war die Basis für eine fünfmalige Realisierung von Explosionen.
Uns wurde dabei aber vor allem der skulpturale Begriff immer wichtiger, oder vielmehr die Verneinung bzw. Erweiterung des klassischen Skulptur-Begriffes. Statuen (statuare – festsetzen) sind im Wortsinn dafür gemacht, ewig oder zumindest so lang wie möglich zu bestehen und somit vornehmlich aus „harten“ Materialien gefertigt. In der Kunstgeschichte hatte Duchamp die Härte des Materials erstmals mit seiner Schreibmaschinenhülle gebrochen. Das wurde dann z.B. durch die „weiche Materialität“ von Beuys fortgesetzt und erweitert. Kurzum machen wir mit den „ENTLADUNGEN“ Skulpturen, die für etwa eine Sekunde einen Raum (in diesem Fall auch öffentlichen Raum) einnehmen, gewaltig verändern und sich in dieser extrem kurzen Dauer auch selbst modifizieren. Der skulpturale Umgang mit Transformation und Spannung steht natürlich im Kontext mit einer Welt, die sich ständig verändert und wird mit Hintergrund der weltlichen Krisen auch politisch. Dazu kommen auch philosophische Fragen: Ist eine Explosion, die nichts zerstört noch eine Explosion?
Die Malerei spielt in gewisser Hinsicht aber immer wieder ein Rolle in meinen Arbeiten. Ich könnte jetzt beispielsweise von einer Ratte im Caspar David Friedrich-Raum der Alten Nationalgalerie erzählen …
Schlegel und Novalis haben im 18. Jahrhundert den Begriff der progressiven Universalpoesie geprägt – ein früher Ansatz, Kunst und Leben zu verbinden. Auch deine Aktionen verbinden sich immer wieder mit den Geschehnissen im Alltag. Das nichts ahnende Publikum wird dabei mit Situationen konfrontiert, die durch die Nachrichten bekannt, aber bis dato außerhalb der persönlichen Realität geblieben sind. Die eingeladenen Gäste für die kommende Ausstellung „_UNG“ bei alexander levy, Berlin bekommen dies gleich von Beginn an zu spüren …
Du spielst auf die Einladung zur Ausstellung an, oder? Dafür muss ich etwas ausholen. Die Ausstellung bei alexander levy kann sehr politisch verstanden werden. Selbst Werke, die nicht politisch sind, werden im Kontext von anderen extrem politisch. Die Beeinflussung der Arbeiten untereinander ist also auch sehr entscheidend. Vielleicht muss ich noch weiter ausgreifen:
Im Zentrum von Bagdad habe ich eine Werbeplane installiert: „WAR IS NOT OVER!“. Eine Verneinung von Yoko Onos und John Lennons „WAR IS OVER!“. Ich sehe die Arbeit gar nicht so sehr politisch. Eigentlich ist es eine sehr kunstimmanente Kritik. Glauben wir wirklich daran, dass Kunst die Welt verbessert bzw. einen entscheidenden Einfluss hat? Ich will die Frage gar nicht beantworten, aber ich will sie stellen und mit einem Ausrufezeichen erheben. Fakt ist, dass der Slogan damals als Werbung für die Platte von Lennon fungierte. Krieg bzw. Frieden wurden als kommerzielles Instrument benutzt. Ich kann nicht sagen, wie die Wirkung zu dieser Zeit war, aber sie mag 1969 noch berechtigt und neu gewesen sein.
Das Problem ist aber, dass es heute Tassen, T-Shirts, Poster davon gibt und die Galerie den Slogan, nett gerahmt, als offene Edition verkauft. Spätestens heute müsste man sich von der Kommerzialisierung abwenden, wenn man ihrer Wunschvorstellung Bedeutung zumisst. Stattdessen wird der Status quo gefestigt und der Traum, den der Ausspruch „WAR IS OVER!“ impliziert, missbraucht. Da bleibt mir nur die „reality machine“ anzuwerfen und diesen Fakt offenzulegen und zwar da, wo jeder weiß, dass der Fakt ein Fakt ist. Die Plane in Bagdad wurde dann doch politisch, in dem Moment, wo die irakische Geheimpolizei das Plakat entfernte. Sie waren extrem unsicher, was das Banner bezwecken soll und hielten es für eine mögliche IS-Werbung. Es gibt die wunderschöne Textstelle eines anderen Musikers: „there is a thin line between entertainment and war“. Dieser Gedanke war auch sehr entscheidend bei der Ausarbeitung der Ausstellung und so kam ich zu der Arbeit, auf die deine Frage abzielt:
Die Einladung enthält einen kleinen Plastikbeutel, der mit einem Gramm Steinfragmenten gefüllt ist – Überresten einer fatalen Explosion im irakischen Hilla im März 2014. Man denkt zuerst an Drogen und ein Tütchen mit „uppers“ – … there is a thin line between entertainment and war. Die erste Reaktion, von der ich gehört habe, war, dass ein Postbote in Neukölln erheblich verärgert war und die Polizei rufen wollte. Soviel Sensibilität durch den geschlossen Briefumschlag ist erstaunlich und es freut mich sehr, wenn der Alltag aufgebrochen wird.
Das zeigt sowohl das Verhängnis, als auch das Faszinosum der urbanen Aktionskunst. Sie ist zu großen Teilen ergebnisoffen und nimmt Wendungen an, die nicht vorhersehbar sind. Auch das Scheitern bleibt immer öffentlich. Ich kann es nicht, wie ein Gemälde, einfach im Atelier verstecken.
Die heftigsten Reaktionen habe ich bisher bei deiner eher stillen Arbeit „AUSFLUSS“ erlebt – einem aufgedrehten Wasserhahn. Der Wasserstrahl wurde zur bewegten Skulptur, brach das Licht und versiegte, um erneut den ewigen Kreislauf anzutreten. Fassungslos waren die Besucher wegen der vorsätzlichen Wasserverschwendung. Ein wenig kam dabei dann der schelmische Charakterzug deiner Aktionen zum Vorschein, die bewusste Provokation. Viele deiner Arbeiten möchten provozieren. Was reizt dich an dieser unmittelbaren Reaktion der Betrachter?
Schön, dass du diese Arbeit ansprichst! Das ist tatsächlich meine Lieblingsarbeit. Sie bietet schier unendliche Ansätze zur Interpretation, obwohl der künstlerische Prozess ein minimaler Akt, ein einfaches „Hahn-Aufdrehen“ ist und von jedem nachvollzogen werden könnte. Der Grundgedanke ist poetisch und sehr romantisch: Sehen wir das Fließen des Wasserhahns als kleinen industriellen Fluss. Alles ist in Bewegung. Alles fließt. Panta rhei. Kommen und Gehen in einem. Hermann Hesses Leitmotiv in Siddharta.
Das Wasser selbst ist schließlich ein Medium, das sich in einem Zustand ständiger Bewegung und Veränderung befindet. Die räumliche Begrenzung durch das Leitungsrohr widerspricht seiner eigentlichen Beschaffenheit. Den Wasserhahn aufzudrehen, bedeutet in dieser Hinsicht also auch einen Akt der Befreiung, lässt Wasser Wasser sein. Es kann seiner Bestimmung folgen, sich bewegen, fließen. Ich mache es wieder zu einem glücklichen Objekt.
Natürlich wird dann auch der Vorwurf der Wasserverschwendung laut. Nur weil ich Wasser spare, heißt es ja aber nicht zwangsläufig, dass Menschen oder Regionen, die wirklich Wasser benötigen, dadurch mehr zur Verfügung haben. Dann erzählen mir Freunde, dass mittlerweile in Berlin so wenig Wasser verbraucht wird, dass die Leitungen verschimmeln und sich Pilze, Algen und Bakterien in den Rohren sammeln. Die Berliner Wasserbetriebe müssen jährlich Millionen Liter Frischwasser durch die Rohre spülen, um diese zu reinigen. Die Absurdität des Lebens. Toll.
Auch können wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass Kunst political correct sein muss. Ich denke jede Art von Kunst setzt gewissermaßen Verschwendung voraus. Als Maler benutze ich Terpentin und wenn man ein Foto auf Aluminium kaschiert, wird die Energie- und Umweltbilanz auf keinen Fall besser sein.
Zudem wird heute alles mit Geld legitimiert. Okay, ich bezahle für das Wasser und leiste damit den entsprechenden Gegenwert. Nicht, dass ich es vertreten würde, aber die Gedankenspiele und möglichen Perspektiven finde ich interessant und in ihrer Form sehr kritisch … und lass mich noch den schönsten Gedanken formulieren: Jedes Kleinkind findet den laufenden Wasserhahn verlockend, faszinierend und spielerisch schön.
Dann kommen die Eltern und sagen: „Hör auf mit dem Wasserhahn zu spielen!“ Also wenn man etwas als Erstes im Leben lernt, dann, dass man kein Wasser verschwendet. Nun kann man das Wasser bei der Ausstellung nicht abstellen. Es kratzt im Kopf. Aber ich hoffe, es zwingt den Betrachter dazu, sich auf die Schönheit des Fließens einzulassen und bringt ihn somit an den Punkt vor jeglicher Domestizierung. Einen Punkt der Unschuld, bevor man diesen ganzen Menschheitswahnsinn mitmacht.
Wie schwer ist es geworden, als Künstler zu provozieren da selbst schockierende Pressebilder zum Alltag gehören?
Das ist überhaupt nicht schwierig. Mal ein Hakenkreuz oder etwas Religiöses, oder zieh dich als Frau aus… Aber will man das? Ich denke, wenn man sich die 70er Jahre anschaut war das Provokations- und Eskalationspotenzial der Kunst wesentlich höher und auch diese generell extremer. Heutzutage ist es fast interessanter, eine provokative Handlung zu realisieren, die auf lange Sicht Eskalation erzwingt. Das ist wesentlich schwerer.
Schloss Sacrow | Krampnitzer Str. 33 | 14469 Sacrow / Potsdam
Eröffnung: Freitag, 19. Juni 2015
Ausstellung: 20./21. Juni 2015
Öffnungszeiten: 10-18 Uhr | Eintritt frei
Lydia Korndörfer ist freie Kuratorin und initiierte 2013 zusammen mit Lisa Polten die Ausstellungsreihe „Berlin Masters“ in der Galerie Arndt. Als Stipendiatin des ersten CAA-Mentoren-Stipendiums für kuratorische Praxis hat sie die Ausstellung „Opening on the foam“ für das Schloss Sacrow (19. bis 21. Juni 2015) konzipiert.
Fabian Knecht schloss sein Studium am Institut für Raumexperimente bei Olafur Eliasson ab. Er lebt und arbeitet in Berlin. Am 12. Juni 2015 eröffnet seine Solo-Ausstellung „–UNG“ bei alexander levy, Berlin. Für „Opening on the foam“ präsentiert er eine ortsspezifische Arbeit, die in Zusammenarbeit mit Andreas Greiner entstanden ist.