Bezugnehmend auf aktuelle Geschehnisse, stand das Thema Kindheit dieses Jahr im Mittelpunkt der 22. Edition des Rohkunstbau.
Between the Worlds – Zwischen den Welten, kuratiert von Mark Gisbourne, setzte sich mit der Welt der Kinder auseinander – zwischen Kindheit und Erwachsenwerden, zwischen Unterdrückung und Freiheit, zwischen Realität und Fantasie. Elf KünstlerInnen aus acht unterschiedlichen Nationen bespielten vom 10. Juli bis 18. September 2016 Schloss Roskow im Landkreis Potsdam-Mittelmark und knüpften dabei auch an eigene Kindheitserinnerungen an. ARTPRESS sprach mit Inka Thunecke, Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg, die ROHKUNSTBAU veranstaltet, über die diesjährige Ausgabe:
Liebe Frau Thunecke, nach dem Vierjahreszyklus zu Wagners ‚Ring des Nibelungen’ von 2011-2015, unterteilt in die Themen ‚Macht’, ‚Moral’, ‚Revolution’ und ‚Apokalypse’, widmete sich der XXII. Rohkunstbau der Welt der Kinder. Kindheit als besonderer Bewusstseinszustand, als fragile und gefährdete Daseinsform und zugleich als individuelles politisches Recht, wie es die UN-Kinderechtskonvention seit 1989 festschreibt, standen im Fokus der Ausstellung. Wie kam es zu dieser Idee?
Es waren selbstverständlich die bestürzenden Nachrichten vom vergangenen Jahr über Kinder, die zum Teil ohne ihre Eltern über das Mittelmeer flüchtenden oder ihre Eltern auf der Flucht verloren. Wir haben alle noch das Bild von dem toten dreijährigen Ailan Kurdi aus Syrien in Erinnerung, der im September an den Strand des türkischen Badeortes Bodrum gespült wurde. Seine Familie war vor der Terrormiliz IS aus Kobane geflogen. Solche Bilder und die Nachrichten über Tausende Menschen, die bei der Flucht ihr Leben riskieren: das hat uns doch alle schockiert und in Unruhe versetzt. Vor allem das Schicksal der Kinder hat uns bewegt. Wir wollten aber keine „Flüchtlingsausstellung“ machen, sondern wollten uns generell mit dem Schicksal von Kindern heutzutage beschäftigen. Denn obwohl die Kinderrechtskonvention der UN die Kinder schützen soll, ihnen Gehör verschaffen soll, ihre Beteiligung sichern soll, ist die Situation schlimmer denn je: Kindersoldaten, minderjährige Selbstmordattentäter und flüchtende Kinder, im Krieg lebende Kinder, hungernde und bedrohte Kinder, Kinder ohne Kindheit und Jugend. Darum sollte es gehen. Eine Ausstellung, die versucht, die Perspektive der Kinder künstlerisch umzusetzen und für die Betrachterinnen und Betrachter erfahrbar zu machen.
Erzählen Sie uns von der Herangehensweise an das Thema?
Ausgangspunkt war die Fantasiewelt der Kinder. Wir finden sie zum Teil in der Kinderbuchliteratur. Kinder leben nicht konstant in dieser Welt. Sie gehen mit ihren Träumen und Abenteuergeschichten auf Reisen. Sie leben häufig sehr intensiv zwischen Realität und Fantasie – „zwischen den Welten“ eben. Eine schöne Kindheit haben, bedeutet auch, sich hier, in diesen gesicherten Fantasieräumen ausprobieren zu können und irgendwann langsam und behutsam erwachsen werden zu können. Für viele Kinder auf der Welt ist das Luxus. Vor allem Kinder auf der Flucht leben auf ganz grausame Weise zwischen den Welten – derjenigen vor der sie fliehen und derjenigen, wo sie hoffen, aufgenommen zu werden. Die elf Künstlerinnen und Künstler des diesjährigen Rohkunstbau haben da angesetzt. Wo gibt es eine glückliche Kindheit? Welche Vorstellungen haben wir von Kindheit und wie sieht die Realität vieler Kinder weltweit aus? Die meisten haben sich die UN-Flüchtlingskonvention vorgenommen und dann überlegt, wie sie diese Themen in einer künstlerischen Sprache angemessen formulieren können. Und ich denke das ist ihnen sehr gut gelungen.
Das Thema wurde von Medien sehr gut angenommen, auch von den BesucherInnen?
Die Ausstellung ist ausgesprochen gut angekommen. Die Resonanz bei den Besucherinnen und Besuchern war fast durchgängig positiv. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir so viele verschiedene Ansätze präsentieren, wie künstlerisch mit dem Thema umgegangen werden kann. Es sind unterschiedlichste Genres vertreten, von Plastik über Malerei bis zu Comics und Videoinstallationen. Hinzu kommt der kulturell sehr breite Kontext. Wir haben, wie jedes Jahr, internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die schon aus sozio-kulturellen Gründen sehr unterschiedlich an so ein Thema herangehen. Diese Vielfältigkeit der Auseinandersetzungen bietet dem Publikum viele Zugänge. Jeder konnte für sich sein persönliches Lieblingskunstwerk finden – und jeder fand etwas anderes besonders inspirierend.
Die Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg unterstützt und veranstaltet das 1994 von Dr. Arvid Boellert initiierte Ausstellungsprojekt bereits seit 2010. Was macht das Projekt für Sie besonders?
Es ist die besondere künstlerische Erzählung von politischen Themen, die immer auch in die individuelle Perspektive heruntergebrochen werden. Es ist das Neue, das Unerwartete, das uns daran gefällt. Als grünen-nahe Parteistiftung erwarten viele von uns, klassische politische Darbietungen. Mit Rohkunstbau machen wir aber etwas völlig anderes. Wir wollen keine Polit-Ausstellung. Wir wollen, dass politische Themen mit künstlerischen Mitteln ergebnisoffen angegangen, diskutiert, kritisiert, dekonstruiert, chaotisiert werden, um möglichst unbekannte Perspektiven und Horizonte zu erschließen. Dafür holen wir jedes Jahr internationale Künstlerinnen und Künstler nach Brandenburg – junge und alte, erfahrene und Neulinge, die sich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen und dazu neue Werke schaffen. Vorgegeben ist lediglich das jährlich wechselnde Thema und der Ort – seit einigen Jahren ist das das wunderbar verträumte Schloss Roskow, mit dessen spezifischen Gegebenheiten sich die Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzen müssen. Dass das am Ende immer wieder funktioniert und die Arbeiten miteinander kommunizieren, dafür steht die kuratorische Qualität von Rohkunstbau, die dafür sorgt, dass Brandenburg jedes Jahr von neuem mit einer international beachteten Ausstellung glänzen kann. Rohkunstbau ist ein ureigenes Brandenburg-Projekt, dessen Stärke in der Zusammenarbeit von unterschiedlichsten Menschen und Organisationen besteht.
Gibt es schon Pläne für 2017?
Sicher. Aber die kann ich im Moment noch nicht verraten. Eines kann ich Ihnen allerdings versichern: Es wird wieder gewohnt intensiv und aufregend.
Vielen Dank Frau Thunecke!
Die Ausstellung in Bildern: