Melanie Manchot – Wie man Pistenraupen tanzen lässt

Melanie Manchot (*1966 in Witten, Deutschland) studierte von 1988 bis 1989 an der New York University und am Royal College of Art London. Heute lebt die Künstlerin in London und beschäftigt sich vor allem mit der Zusammenführung von Film, Fotografie und Installation. Besonders Berglandschaften und Wintersportorte stehen für Manchot seit über zehn Jahren im Fokus ihrer Werke. In der neuen Einzelausstellung  „Mountainworks (Montafon)” der Programmreihe INN SITU in Innsbruck stellt sie ihre Arbeit in der Vorarlberger Region Gaschurn aus, in der sie hinterfragt, wie wir mit der Verantwortung von Natur aber auch der Industrialisierung der Bergwelt umgehen. Hierzu hat sie in einigen Film- und Foto- Arbeiten Einheimische mitwirken lassen.

Ausstellung:
ERÖFFNUNG: 01.10.2019 | 19 Uhr
Laufzeit: 02.10.2019 – 25.01.2020
INN SITU | Stadtforum 1 | 6020 Innsbruck


Seit über 10 Jahren beschäftigst Du Dich in Deinen Fotografie- und Video-Arbeiten mit den Alpinen und der (Wintersport-)Industrie. Entstanden ist die Serie Mountainworks, die stetig erweitert wird.  Welche Aspekte reizen Dich besonders an dieser Geschäftigkeit in den Bergen?

Die Mountainworks beschäftigen sich weitgehend mit meinem Interesse daran, wie und in welchen Formen uns Berge mit uns selbst konfrontieren. Berge sind in vieler Hinsicht Orte der Reflexion und Herausforderung: über unser Verhältnis zu den Bergen – als reale und imaginäre Orte –reflektieren wir unseren Platz in der Welt. Sie bedingen eine Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen zu uns als Teil von Natur, Erde, Gesellschaft und Technologie. Die Arbeiten hinterfragen Ideen von Kontrolle, Selbst-Kontrolle, mentaler und physischer Herausforderung. Wir suchen ‘eine Erfahrung des Wilden’ und darüber vielleicht auch eine Selbsterfahrung.

In den Bergen begegnen wir anderen Formen der Zeitrechnung. Hier stehen wir vor und inmitten von geologischer Zeit, ‘tiefer Zeit’, die der menschlichen Zeit andere Dimensionen entgegenstellt.

In Kunst und Kultur spielen die Berge besonders seit der Romantik eine große Rolle, in der Literatur sowie der Malerei, den bildenden Künsten und dem Film. In der Romantik entstand der Begriff des Sublimen, des Erhabenen. Es interessiert mich, diesen Begriff aus heutiger Sicht zu hinterfragen, auch vor der Problematik des 20. Jahrhunderts, wo der Begriff zum Teil für ideologische Ziele missbraucht wurde.

Insofern geht es in den Mountainworks im weitesten Sinne immer wieder um Fragen von historischen, kulturellen, sozialen und individuellen Identitäten.

 

Videostill from Snowdance, 2019 © Melanie Manchot

 

INN Situ ermöglichte Dir für einige Monate im Vorarlberg mit Einheimischen zusammenzuarbeiten – Menschen, die in den Bergen arbeiten und normalerweise nicht im Kunstkontext tätig sind. So hast Du es auch geschafft, Pistenraupen-Fahrer zu einem Pistenraupen-Tanz für Deine Videoarbeit „Snowdance” zu gewinnen. Wie sah die Zusammenarbeit aus und wie konntest Du sie von Deinem Vorhaben überzeugen?

Ich war zweimal im Vorarlberg: das erste Mal für vier Tage im März 2018 zur Recherche. Zu der Zeit konnte ich erste Kontakte mit Mitarbeitern der Silvretta Montafon knüpfen. Der Produktionsaufenthalt im Januar 2019 war knapp drei Wochen und in dieser Zeit sind alle Foto- und Video-Arbeiten entstanden.

Der frühe Kontakt war grundlegend wichtig, um die Ideen für die Arbeiten mit den jeweiligen Teams im Montafon zu entwickeln, denn diese Werke können nur in einer kollaborativen Arbeitsweise entstehen. Ich habe tiefen Respekt für die oft komplexe und intensive Arbeit am Berg, das ‚backstage’ oder auch ‘hidden labour’ – also die versteckte menschliche Arbeit, die meistens unbeachtet stattfindet. Diesen Arbeitern Beachtung zu gewähren ist ein großes Anliegen aller Mountainworks.

Für „Snowdance“ habe ich Montafoner Volkstänze recherchiert, so dass die Choreografie eine Verankerung in lokalen Traditionen hat.  Ideen zur Choreografie des ‘Tanzes’ habe ich den Pistenraupen-Fahrern über Skizzen vorgestellt. Dann haben wir diese diskutiert, und gemeinsam überlegt, wie der Tanz am besten funktionieren kann und wie sich meine Vorstellung der spezifischen Bewegung der Pistenfahrzeuge realisieren lässt.

 

 

Die Berge bilden einen eigenen Kosmos. Was hast Du von den dort lebenden Menschen gelernt, bezogen auf Deine Arbeitsweise, aber auch auf Dein eigenes Leben?

Die fortlaufende Serie Mountainworks hinterfragt, wie wir langfristig mit der Verantwortung für die Orte und Landschaften umgehen, die sich vorübergehend in unserer Obhut befinden. Welche Balance finden wir zwischen Berg-Management, dem Produzieren des Berg-Erlebnisses und einer Form von Naturbelassenheit?

Gerade in den Januarwochen dieses Jahres war aufgrund des extremen Schneefalls zum Teil dort Krisen-Management und Alarm angesagt. Es war beeindruckend zu sehen, mit wieviel Elan und Konzentration die verschiedenen Teams vor Ort kollektiv die Situation rund um die Uhr gemeistert haben.

Spectre 2, 2019 © Melanie Manchot

Welche Rolle spielt die Inszenierung für Dich als Fotografin und Video-Künstlerin? Welche Vorarbeit muss geleistet werden, bevor Du ein Foto machst bzw. ein Video drehst und wie viel überlässt Du dem Zufall?

Ein Großteil meiner Arbeit ist bewusst auf der Grenze zwischen Inszenierung und Beobachtung angesiedelt, zwischen Choreografie und Offenheit oder sogar Momenten des Zufalls. Alle Projekte basieren auf langen Perioden von Recherche und sind oft stark konzept-orientiert. Jedoch erwarte ich trotz der Vorarbeit und Planung, dass die Arbeit mich im Laufe der Produktion selbst überrascht und dass sie sich im Prozess verändert, ihre eigene Logik findet. Wenn ein Werk am Ende mein Konzept haargenau spiegelt, ohne jegliche Entwicklung, dann finde ich dies eher erstaunlich oder sogar enttäuschend.

Da ich fast immer mit Menschen vor Ort arbeite, in den Mountainworks wie in allen anderen Projekten, bedarf es oft viel Vorbereitung, um diese Personen in die Ideen einzubeziehen.

Portrait Melanie Manchot © Melanie Manchot

Die Bergwelt als Motiv hatte schon Anfang des 20. Jahrhunderts für zahlreiche Fotografen eine bedeutende Rolle. Skifahrer, Panoramen, Schneelandschaften und Licht-/Schattenspiele standen hier im Zentrum. Welche Herausforderungen suchst Du, wenn Du in den Alpen fotografierst?

Eine recht komplizierte Frage, da die Berge als Motiv gerade durch das 20. Jahrhundert stark vorbelastet sind. Leni Riefenstahl mag als Beispiel gelten. Für viele Künstler waren die Berge als Idee in der Kunst daher lange eher ein Tabu, zu sehr waren sie mit dem Faschismus des Zweiten Weltkrieges verhaftet. Persönlich sind die Berge für mich schon immer wichtig. Aus verschiedenen Gründen habe ich eine starke Leidenschaft für Berge, ihre Kultur, ihre Geschichten und Formen. Aber lange habe ich gezögert, ob ich mit und in den Bergen Kunst produzieren kann, ohne mich direkt mit der deutschen Berg-Kulturgeschichte auseinanderzusetzen.

Gegenwärtig, und vor allem vor dem Hintergrund der dringenden Fragen der Klima-Politik, hoffe ich mit den Arbeiten an dringenden Diskursen teilnehmen zu können. Dabei interessiert es mich weniger, rein Tourismus-kritisch zu arbeiten. Ich finde Polemik in der Kunst eher problematisch. Lieber stelle ich Fragen zu unserem Verantwortungsbewusstsein und dazu, was wir von den Bergen lernen können und wie sie uns zu Selbst-Reflexionen herausfordern.

Vielen Dank für das Gespräch, Melanie Manchot.

Ein Interview von Alexandra Saheb

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