Michael Wesely (10.37 – 10.42 Uhr, 13.3.2012) Credit: Michael Wesely
Sie versuchen in Ihren Fotografien Zeit sichtbar zu machen. Was ist Zeit für Sie?
Fotografie ist immer zeitbasiert, hält immer einen Zeitmoment fest. Da macht es zunächst keinen Unterschied, ob ich eine kurze oder eine extrem lange Belichtungszeit gewählt habe. Denn immer entstehen Bilder und mir geht es in meiner künstlerischen Arbeit mit Fotografie immer genau darum: um Bilder.
Zeit ist eher das Vehikel um zu anderen Bildern und Fotos zu gelangen, als jenen denen wir massenhaft täglich im Alltag begegnen. Vordergründig mache ich ja nichts anderes als ein Dokumentarfotograf etwa. Aber mit der extremen Belichtungsdauer verschiebt sich die Wahrnehmung. Nicht mehr allein das Motiv zählt, dass sich oft mehr unsichtbar als sichtbar abzeichnet, sondern auch Randbedingungen wie Licht, Bewegung und atmosphärische Elemente rücken anders in den Fokus.
Die ausgedehnte, oft extrem lange Belichtungszeit ist ein Werkzeug um den Bildern gewisse visuelle Defizite zuzufügen. So entstehen neue Wahrnehmungsräume und Möglichkeiten der Betrachtung und teilweise kehrt sich die sonst so direkte Art der fotografischen Abbildung um, es entsteht eine Art Unsichtbarkeit. An Hand des Titels, der ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist, weiß man was aufgezeichnet wurde, aber das Motiv wird unter Umständen nur sehr bruchstückhaft aufgezeichnet und als Betrachter kann man das Bild selbst vervollständigen.
„Nur im Kopf des Betrachters kann das Bild Bedeutung annehmen und vervollständigt werden“ hat Gilles Deleuze einmal in Analyse von angedeuteten Bewegungen in Steinskulpturen dargelegt. So verhält es sich auch mit meinen fotografischen Szenen: Sie müssen vervollständigt werden. Man könnte wenn man will in diesem Sinne von einer Emanzipation sprechen. Ich stelle meine offenen Bilder den fotografischen Fertigprodukten unseres heutigen Alltags an die Seite.
Sind ihre Bilder eine Art über unsere Wahrnehmung zu reflektieren?
Ja. Wir sind im Zeitalter des Video-Live-Streams an einem Punkt angelangt, der an Pluralität (im positivem Sinne) und auch Beliebigkeit (fast) nicht mehr zu überbieten ist: Nahezu im Minutentakt werden Positionen und Meinungen in sämtlichen Lebensbereichen von neuen Perspektiven Andersdenkender überlagert oder hinterfragt, sodass man nicht nur von einem gigantischem Medien-, sondern auch von einem Perspektivenrauschen sprechen muss.
Auch darüber reflektieren meine Bilder: Die darstellende Funktion der Fotografie ist ausgelöscht – es bleiben die sich überlagernden Momente auf meinem Film, die alles was vorher passiert ist und sich eingeschrieben hat, immer wieder neu überschreiben.
Meine Bilder auf die Sichtbarmachung verstrichener Zeit zu reduzieren, ist deshalb ein zu kurz gefasster erster Reflex beim Betrachten. Die Arbeit des Betrachtens geht nach dieser schnellen Erkenntnis unserer Vergänglichkeit nämlich erst los.
Im Titel der kommenden Ausstellung Another Pencil of Nature – Part 2 beziehen Sie sich auf einen Urvater der Fotografie. Sehen Sie sich mit den Natur- fotografien in der Tradition der Erfinder der Fotografie?
Der Titel der Ausstellung Another Pencil of Nature deutet schon an, worum es geht: Er bezieht sich auf das erste Fotobuch der Welt, das William Fox Talbot unter dem Titel The Pencil of Nature zwischen 1844 und 1846 publiziert hat. Er hat der Welt damals gezeigt, was die Fotografie alles kann, und an zahlreichen Bildtafeln vorgeführt, wozu dieser »Bleistift« – das Licht nämlich – in der Lage ist. Damals sah sich die Fotografie mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Das galt vor allem für die Belichtungszeiten, die viel zu lang waren, um all das scharf abzubilden was sich die Leute gerne auf einer Fotografie ansehen wollten. Dass eine nur halb sichtbare, verwischte Person etwas Wesentliches bedeuten oder gar eine poetische Qualität haben könnte, war damals ausgeschlossen. Die Welt erwartete anderes von der Fotografie: Sie sollte einer frischen und direkten Realitätsvermittlung dienen, was als Nebeneffekt dazu führte, dass die Malerei aus der dokumentarischen Verantwortung entlassen wurde. Sie wurde autonom, während der Fotografie die Funktion zukam die Wirklichkeit – oder was wir dafür halten – in scharfen Abbildern zu dokumentieren.
Meine Arbeit aber bedient sich genau dieser scheinbaren Schwächen des Mediums Fotografie und nutzt sie in vollen Zügen aus. Vielleicht schließt sich hier der Kreis: Was Talbot damals in seinem Buch aus technischen Gründen ausschloss, bildet jetzt die Basis meiner Arbeit. Allerdings in einem ganz neuen Kontext, in dem sich unsere Wahrnehmung durch einen ins Gigantische gestiegenen Bilderkonsum fundamental verändert hat.
MICHAEL WESELY. ANOTHER PENCIL OF NATURE – PART 2
20. September bis 21. Dezember 2014
Eröffnung: Freitag, 19. September 2014 um 19.00 Uhr
Mittwoch, 22. Oktober 2014, 19.00 Uhr
Als die Zeit noch auf sich warten ließ – Michael Wesely im Gespräch mit William Henry Fox Talbot und Prof. Dr. Hubertus von Amelunxen, Präsident der European Graduate School in Saas-Fee
ALFRED EHRHARDT STIFTUNG
Auguststr. 75 | 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Di bis So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr
Michael Wesely. The Epic View
21. September 2014 bis 11. Januar 2015
Eröffnung: Sonntag, 21.9.2014, 16 Uhr
Mies van der Rohe Haus| Oberseestraße 60 | 13053 Berlin