Ein Interview mit Ali Kaaf

Zeitgenössische Kunst trifft auf Hochkultur –
Ich bin Fremder.
Zweifach Fremder

 

„Mittels der Durch- und Einblicke auf die monumentale Mschatta-Fassade versuche ich ein Spannungsfeld aufzubauen, das einen Raum der Ambivalenzen im Dazwischen erschafft, zwischen Fassade und Intervention, Historie und Gegenwart, Bekanntem und Fremdem, Sicht-
und Unsichtbarem.“

Bis zum 20.02.2022 zeigt Ali Kaaf, anlässlich des bevorstehenden Abbaus und Umzugs der frühislamischen Mschatta-Fassade vom Süd- in den Nordflügel des Pergamonmuseums, seine Installation Ich bin Fremder. Zweifach Fremder direkt vor dem größten und vielleicht bedeutendsten Werk islamisch geprägter Kunst in einem Museum weltweit. Kaafs Arbeit tritt in unmittelbaren Dialog mit dem berühmten Baufragment. Mit seiner spezifischen Formsprache von Schnitten, Löchern und Leerstellen ermöglicht Kaafs künstlerische Intervention eine ganz eigene Perspektive auf die Ornamentik der Mschatta-Fassade.

Ali Kaaf, Ich bin Fremder. Zweifach Fremder, 2021, installation view Mschatta-Saal, Pergamonmuseum © Ali Kaaf, Foto: Jörg von Bruchhausen

Lieber Ali, woher stammt der Titel Ich bin Fremder. Zweifach Fremder ? Und wie steht dieser in Verbindung mit deiner Installation und mit der Mschatta-Fassade?

Der Titel stammt aus einem Gedicht des Philosophen und Dichters Abu Hayyan al-Tawhidi aus dem 10. Jahrhundert in Bagdad. Die Fremde meint in seiner Denkweise und Zeit zunächst eine selbstgewählte Absonderung von der Gemeinschaft zur Erlangung kontemplativer Ruhe. Die zweite Fremde deutet hin auf die Entfernung vom Selbst zur geistigen Vereinigung mit der Welt in der Weise der Gnostiker sowie der islamischen Sufisten.

Die Mschatta-Fassade ist für mich wie ein Spiegel des eigenen Schicksals der Wanderung und des Ankommens in einer neuen Kultur, wobei das Ankommen nie endgültig ist.

Wie kam es zu der Kooperation mit dem Museum für Islamische Kunst, der Staatlichen Museen zu Berlin?

Bei einem Besuch in meinem Atelier hatte ich ein intensives Gespräch mit dem Direktor Herrn Dr. Weber über den Einfluss der byzantinischen auf die frühislamische Kunst. Wir sprachen in diesem Zusammenhang, auch über die im Pergamonmuseum ausgestellte Mschatta-Fassade, die ein herausragendes Beispiel hierfür ist. Daraus entwickelte sich nach und nach, auch vor dem Hintergrund, dass die Mschatta-Fassade im Frühjahr 2022 abgebaut wird, um später (2026) nach einer Sanierung des Pergamonmuseums in einem anderen Saal wieder aufgebaut zu werden, die Idee für meine Intervention.

Was für ein Ort ist das Pergamonmuseum für dich? Was bedeutet die Sammlung für Islamische Kunst der staatlichen Museen zu Berlin für dich und deine Arbeit?

In meinen mehr als 20 Jahren in Berlin ist das Pergamonmuseum für mich ein Ort, den ich regelmäßig besuche, nicht nur wegen der wichtigen und großen Objekte, die es besitzt, sondern auch wegen des einzigartigen Museumskonzeptes, der Präsentation von Räumen im Raum.

Ali Kaaf, Ich bin Fremder. Zweifach Fremder, 2021, installation view Mschatta-Saal, Pergamonmuseum © Ali Kaaf, Foto links: Jörg von Bruchhausen / rechts: ARTPRESS

Woran denkst du oder was fühlst, wenn du die Mschatta-Fassade betrachtest?

Sie weckt Erinnerungen aus meiner Kindheit. Ich bin in Damaskus groß geworden, aber mit meiner Familie war ich oft in Süd-Syrien, einem Gebiet mit vielen Ruinen, römischer wie auch byzantinischer Städte verschiedener Größe. In meinen Erinnerungen erscheinen viele Momente des Spielens in der Nähe solcher Ruinen. Diese waren für mich Teil der Natur und des Lebens dort. Die Mschatta-Fassade stand einmal kaum 200 Kilometer von diesen Orten entfernt. Als ich sie zum ersten Mal im Berliner Museum erlebte, abgekapselt in einem Raum, erschien mir die Fassade ihrer Umgebung entfremdet.

Aber genau dieses Gefühl, ein monumentales Architekturelement, das selbst einmal einen Raum umschlossen hat, in einem Raum zu betrachten, fasziniert mich wiederum.

Greifst du diese Aspekte in deiner Installation auf – in Bezug auf Raum, Position und Form?

Es gibt eine zweite Ebene, die die Thematik des pars pro toto betrifft. So riesig die Fassade in dem Museumsraum, den wir betreten, auch erscheint, ist sie doch Teil eines sehr viel größeren Bauwerks in Jordanien gewesen. So fängt man an, eine Art Puzzle aus Kenntnissen, Ideen und Fragen der Wahrnehmung aufzubauen. Aus der Schmuckfassade greife ich ein wesentliches und symbolbehaftetes Element heraus, das Dreieck, um es metaphorisch als „Spitze des Eisbergs“ davorzustellen.

Entscheidend ist weiterhin meine Beschäftigung mit dem Raum im Raum. Die Mschatta-Fassade, die als solche in einen neuen Kontext gebracht wurde, erfährt durch meine Installation eine erweiterte Raumwahrnehmung. Das vor die Fassade positionierte Dreieck wird zu einem Tor, das Vergangenheit und Gegenwart sowie die frühislamische Kultur mit der christlichen verbindet. Durch die filigran bearbeitete Vorderseite meines Werks entsteht in der Durchsicht eine neue Perspektive des Raumes, inspiriert von der sensiblen Trennung des Innen und Außen durch die in der islamischen Kultur präsenten Fenstergitter. Mittels der Durch- und Einblicke auf die monumentale Mschatta-Fassade versuche ich ein Spannungsfeld aufzubauen, das einen Raum der Ambivalenzen im Dazwischen erschafft, zwischen Fassade und Intervention, Historie und Gegenwart, Bekanntem und Fremdem, Sicht- und Unsichtbarem.

Wo siehst du konkret eine Verwandtschaft zwischen deiner Arbeit Ich bin Fremder. Zweifach Fremder  von 2021 und der aus dem 8. Jahrhundert stammenden Mschatta-Fassade?

In dem Fragmenthaften, der Entwurzelung, der Wanderung und dem Wechsel der kulturellen Umgebung – meine Installation ist eine Verkörperung der damit verbundenen Fragen. Denn ich beschäftige mich künstlerisch mit einem Fragment, mein Kunstwerk ist Teil und Ausgangspunkt eines ganzen Kunstwerks, und das war direkt inspiriert von der Fassade selbst, die auch Teil eines Ganzen ist.

Wie unterscheidet sich Ich bin Fremder. Zweifach Fremder  von deinen früheren Arbeiten?

Ein Unterschied liegt in der körperlichen Erfahrung der Installation im Raum mit dem Bezug zu einem schon bestehenden Objekt. Eine besondere künstlerische Verbindung besteht zu meinen Skulpturen und der Reihe von Fotocollagen unter dem Titel Die byzantinische Ecke, mit denen ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt habe. In diesen Arbeiten versuche ich die zeichnerische Ebene und die fotografische Ebene als Raum und Zeichnung zu verkörpern, die radikalen Schnitte waren für mich notwendig, um einen magischen Raum zu schaffen. Mit dieser Installation konnte ich diese Erfahrungen in einer neuen Größenordnung räumlich ausprobieren, die eine intensive Arbeit mit Modellen und Projektionen erforderte, um die richtige Raumvorstellung zu gewinnen.

Ali Kaaf, Portrait © Ali Kaaf, Foto links: Faissal Atrasch / Ali Kaaf, The Byzantine Corner N 6, 2020 © Ali Kaaf, Foto rechts: Eric Tschernow

Der syrisch-deutsche, in Algerien geborene Künstler lebt und arbeitet in Berlin. Erst studierte er Bildende Kunst am Institut des Beaux-Arts in Beirut, es folgte ein Studium an der Universität der Künste Berlin bei Rebecca Horn und Marwan. Seine Arbeiten bewegen sich spielerisch zwischen arabischen und europäischen Bildtraditionen. Durch zahlreiche Ausstellungen und Residencies finden sich seine Werke in internationalen Sammlungen wieder. 2020 war Kaaf Stipendiat des AArtist in Residence-Programms des Auswärtigen Amts.

Interview: Magdalena Heinrich

Weiterführende Links:
Ali Kaaf online.
Infos zur Ausstellung.
Kaaf im Interview bei radio eins.
Im März 2022 erscheint ein umfangreicher Katalog im Hatje & Cantz Verlag.

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