Bergen: Wo das Meer alles bestimmt

Eine Reise nach Bergen

Eigentlich sollte es heftig regnen in Bergen, stattdessen scheint die Sonne. Selbst modernste Technik schafft es nicht hier im westlichen Norwegen eine präzise Vorhersage zu liefern. Nahe am Meer gelegen ist Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens, der Natur und deren eigenen Regeln ausgesetzt. Es gibt keine Gewissheit über die nächste Wetterlage. Es könnte in Kürze ein starker Sturm aufziehen, oder ein starker Regenfall auftreten. Rund um den Hafen spazieren daher, selbst bei Sonne, viele Leute in modischen Regenmänteln, Gummistiefeln und sind mit Regenschirmen ausgestattet. Hier scheint es eine eigene Mode für wetterfeste Kleidung zu geben. In gedeckten Farben tragen die Damen ihre edlen Capes. Geld ist heutzutage vorhanden, wo vor ca. hundert Jahren noch bittere Armut herrschte, viele auswanderten oder auch der Lepra zum Opfer fielen. Das Krankenhaus, heute ein Museum, beherbergte noch bis Mitte der 1940er Jahren Fälle dieser sonst in Europa nahezu ausgerotteten Krankheit.

Hafenansicht Bergen. Foto: Alexandra Saheb

Das Meer beeinflusst nicht nur das Wetter und den damit verbundenen Look in Bergen, sondern in jeglicher Hinsicht die hier lebenden Menschen. Ein erster Spaziergang durch die rund 285.000 Einwohner große Stadt macht deutlich, dass hier am Byfjorden schon seit Jahrhunderten ein reger grenzüberschreitender Austausch herrscht. Um genauer zu sein seit ca. 1360. Gebäude aus der Hansezeit, als deutsche Kaufleute den Fischmarkt bestimmten, zeugen von der Vernetzung über das Meer mit wichtigen Handelszentren in Europa. Auch heute stehen im Hafen zahlreiche Containerschiffe wie auch Fähren. Das Meer ist nach wie vor ein wichtiger Transport- und Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Aber auch zahllose Privatboote liegen am Hafen. Wassersport ist für die Einheimischen eine Selbstverständlichkeit.

Vormals war es der Fisch, jetzt ist es das Öl, das besonders in den letzten Jahrzehnten Bergen, aber auch ganz Norwegen, reich machte. Zukünftig will Norwegen aber kein Öl mehr aus der Nordsee pumpen. Grundsätzlich bemüht man sich stärker um alternative Energiegewinnung und investiert Jahr für Jahr beträchtliche Summen in Forschung und Unternehmen. So beschreibt es der Direktor der Bergen Kunsthall Axel Wieder, als er uns durch die von ihm kuratierte Ausstellung THE OCEAN führt. Er hat mit dieser Ausstellung ins Herz der Bergener getroffen. Jung und Alt tummeln sich durch die Räume, verweilen lange vor den Vitrinen, in denen Fotos, Geldscheine, Bücher und Dokumentationsmaterial liegen. Die Objekte verdeutlichen, wie stark sich das Meer zur eigenen kulturellen Identität Norwegens gehört.

Installationsansicht “THE OCEAN”, Bergen Kunsthall. Foto: Alexandra Saheb // Nina Canell: Brief Syllable (Bare), 2017. Foto: Andrea Rossetti.

Für lange Zeit, um damit vor allem den Fisch konservieren zu können, war die Salzgewinnung auch ein großes Thema. So steht in der Ausstellung ein Salzkocher, von denen es früher zahlreiche am Hafen gab. Doch das Fischen und die Verarbeitung haben sich verändert. Kaum ein Norweger ist heute noch beim Fischfang tätig, so der Kurator, und die Verarbeitung findet nicht mehr am Hafen statt. Ein sonderbares Bild fällt in einer Vitrine auf, ein Mann in dunkler Kleidung trägt einen Menschen großen Fisch über seinen Rücken. Es handelt sich um Himmelfarten, so zumindest wurde er genannt. Eine kauzige Gestalt und stadtbekannte Figur, die den Fisch für etwas Geld zu den Käufern nach Hause trug. Seine Bedeutung für Bergen wird sowohl durch historische Fotos, auf denen er nachgestellt wurde, als auch durch das Wandbild im Stadtraum sichtbar und in der Ausstellung thematisiert. Neben den stark auf Bergen bezogenen Exponaten öffnet Axel Wieder in der Ausstellung den Blick auf aktuelle Positionen. Die 25 Künstler und Künstlerinnen beschäftigen sich in ihren Arbeiten in unterschiedlichsten Formen mit dem Umgang der Meere. Erstaunt stehen wir vor schwarzen Objekten mit gelben Streifen, die im Raum verteilt ohne Socke auf dem Boden liegen. Es handelt sich um originale Unterseekabel, die zur Ölförderung genutzt wurden und nun von der Künstlerin Nina Canell in einzelnen Stücken ausgestellt werden. Ihr Umfang ist beträchtlich, mit einem Durchmesser von ca. 30 cm. Sie werden u. a. für die Erwärmung von Öl und Gasleitungen genutzt und zeugen von Hightech Technologie, die sich im Zuge der Rohstoffgewinnung entwickelt hat. Ein Blick auf den Querschnitt, in das Innenleben des Kabels, offenbart eine sonst verborgene Welt. Die immense Infrastruktur unter dem Meer und ihre damit politische, wirtschaftliche und soziale Komponente werden in einer Vielzahl von Werken thematisiert und untersucht.

Installationsansicht “THE OCEAN”: Peter Fend “Offshore Soil Rig”, 1993. Foto Alexandra Saheb // Himmelfarten. Foto: Alexandra Saheb

Fasziniert von der Schönheit der Bilder bleibe ich vor einem Monitor stehen, zu sehen sind Seepferdchen. Wunderbare Schwarzweißaufnahmen von 1934 des Wissenschaftlers und Filmemachers Jean Painlevé. Auch die Surrealisten sollen damals begeistert von diesem Film gewesen sein, der in unglaublichen Nahaufnahmen u. a. auch die Geburt von zahllosen Mini-Seepferdchen zeigt. Besonders stolz präsentiert Axel Wieder die zur Ausstellung erschiene Zeitung VESTLAND NORTH SEA BLUEPRINTS, die in Kooperation mit der Bergen School of Architecture entstanden ist. Auf mehr als 110 Seiten werden hier wissenschaftlich Themen wie Fischfang, Schifffahrt, maritimer Tourismus, Öl und Gas sowie erneuerbare Energien untersucht und die Ergebnisse vorgestellt. Ein großer Stapel liegt im Ausstellungsraum aus und jeder kann sich kostenfrei ein Exemplar mitnehmen. Das Interesse ist groß, denn in Bergen wird auch in Zukunft viel passieren und die Stadt sich verändern. Der Hafen soll weiter draußen im Fjord näher ans Meer verlegt werden und der jetzige Hafenbereich zu Wohngebieten umfunktioniert werden. Auch hier diskutiert man wie in Venedig, wie man zukünftig mit den Kreuzfahrtschiffen umgehen will, von denen täglich bis zu 5 anlegen. Im Rahmen von THE OCEAN diskutieren in zahlreichen Gesprächsrunden Experten und Expertinnen über die Zukunft der Weltmeere. Kaum einen besseren Ort kann man sich für das umfassende Thema THE OCEAN wünschen als die Bergen Kunsthall.

Bergen Kunsthall  “THE OCEAN”  

Containerhafen Bergen. Foto: Giulia Mangione

Text von Alexandra Saheb

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