Über Licht und Grenzen. Ein Interview mit Heinz Mack

„Alle Menschen auf der Erde sind zunächst einmal Menschen, und unter ihren Kleidern sind alle nackt…“  (Heinz Mack)

Heinz Mack zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern unserer Zeit. Als Gründungsmitglied der ZERO-Bewegung schuf er zusammen mit anderen Künstlern eine neue Plattform für die zerstörte Kunstlandschaft des Nachkriegs-Europas. Eine Zeit an die auch die große ZERO-Ausstellung im Martin-Gropius Bau zu Beginn dieses Jahres erinnerte.
Am 11. September eröffnet nun eine umfassende Werkschau im Ulmer Museum, die über die Kunst der 60er und 70er Jahre hinausreicht und einen umfassenden Einblick in das Oeuvre des Künstlers präsentiert. Die Ausstellung bietet dem Besucher die Chance, Mack jenseits von ZERO und Nachkriegszeit zu entdecken. Ein besonderes Highlight der Ausstellung „MACK. Das Licht meiner Farben“ leitet sich von dem Interesse Macks für persische und islamische Kunst und Kultur ab: Eine Werkreihe und künstlerische Auseinandersetzung zum West-Östlichen Divan von Goethe. ARTPRESS unterhielt sich mit dem Künstler über diesen besonderen Aspekt seines Werkes.

In der Nachkriegszeit haben Sie mit Ihrer Kunst sowohl künstlerische als auch nationale Grenzen überschritten. Heute gibt es neue Grenzen, Abgrenzungen und Herausforderungen für Europa, die auch viel mit einer Abgrenzung gegenüber islamischen Ländern zu tun hat. Wie verfolgen Sie diese Entwicklung?
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Künstler wohl die ersten, welche nationale Grenzen überschritten haben. Fontana, Yves Klein, Manzoni, Christo, Tinguely und Schoonhoven oder Kusama, aber auch deutsche Künstler wie Piene, Uecker und ich suchten Kontakt zueinander – was ein Phänomen war, da jeder zunächst isoliert künstlerische Ideen und Entdeckungen sammelte, die sich mit denen der anderen Künstler vergleichen ließen. Aus diesem Geist speiste sich auch die Gründung der ZERO-Bewegung 1957. Kurzum, man könnte sagen, dass wir quasi etwas von der Europa-Idee antizipiert haben. Das nationale Bewusstsein trat zurück, Grenzen wurden nicht mehr als Grenzen empfunden, die Künstler praktizierten einen solidarischen, einen europäischen Geist. Von Düsseldorf aus erschienen die Ateliers in London, Mailand, Paris, Amsterdam und Basel nicht mehr weit entfernt. Wir suchten das Gespräch mit anderen Künstlern, und das galt vice versa.
Mehr als ein halbes Jahrhundert später zeigten bzw. zeigen das Guggenheim-Museum, der Martin-Gropius-Bau in Berlin, das Stedelijkmuseum in Amsterdam und das Sabanci Museum in Istanbul hochkarätige ZERO-Ausstellungen mit erstaunlichen Besucher-rekorden. Was früher praktische Erfahrung von intensiven Künstlerbegegnungen war, ist heute gesicherte Kunstgeschichte.

Heute suchen Künstler aus islamischen Ländern die Chance, nicht nur in den USA, sondern insbesondere in Europa arbeiten zu können, da in ihren Heimatländern die grundlegende Bedingung frei zu sein, in einem humanistischen Bewusstsein, so gut wie nicht gegeben und gelebt werden kann. Ohne diese Bedingung ist aber eine künstlerische, kreative Arbeit prinzipiell aussichtslos. Es ist mehr als eine kühne Vermutung, dass das schöpferische Potential in den islamischen Ländern sehr wahrscheinlich von großer Dimension und latenter Energie beseelt ist. Sollte es das Licht der Welt erblicken und zum lebhaften Ausdruck kommen, wird es einen ganz eigenen, einen islamischen Charakter haben müssen – da seine mögliche Bestrebung, sich in die westliche Kultur zu integrieren, vielleicht ein Fiasko zur Folge haben dürfte, im Sinne einer Contradictio Oppositorum. Das Gleiche gilt umgekehrt für den Künstler aus dem Westen, z. B. für mich, der sich für die Kunst des Vorderen Orients interessiert; was ich mache sind meine Werke, sie können im Orient nicht einfach assimiliert werden. Aber die vergleichende Betrachtung gilt! Und die muss von einem schöpferischen transitorischen Geist erfüllt sein. Was beiden Welten hier gemeinsam ist, nenne ich die Tatsache, dass die gesamte islamische Kunst ebenso gegenstandslos und nicht figurativ ist wie die „konkrete Kunst“ in der westlichen Sphäre (die übrigens von allen Stilen der Moderne in den letzten 100 Jahren die längste zeitliche Dauer und Beständigkeit hat).
Meine Kunst ist gegenstandslos und hat keinen inhaltlichen Kontext im Sinne einer Ideologie. Der Humanismus in seiner säkularisierenden Geschichte ist für mich eine Sphäre der Freiheit, welche nicht auf politische Grenzen angewiesen ist um existieren zu können. Alle Menschen auf der Erde sind zunächst einmal Menschen, und unter ihren Kleidern sind alle nackt, das haben wir alle gemeinsam, soweit die Anthromorphologie und Anthropologie.

Inzwischen sind es Millionen Menschen weltweit, die Emigranten sind; schon die infinitesimale Zahl besagt, dass die Politiker, die Religionen, die Wissenschaftler, die sogenannte einfache Bevölkerung, dass schlechterdings ein jeder überfordert ist, die Frage zu beantworten: Muss man alle Flüchtlinge wieder zurückschicken in deren chaotisch-verwirrte „Heimat“, oder begrüßen wir in Deutschland, dass immerhin 25 % der Einwanderer ein abgeschlossenes Hochschulstudium nachweisen können. Aus demographischen und kultursoziologischen Gründen sind wir darauf angewiesen, dass intelligente Einwanderer bei uns aufgenommen und integriert werden. Dass das von weniger gebildeten Bürgern unserer Republik weniger gerne gesehen wird (aus Sorge, dass man ihnen ihre Arbeit und damit verbunden ihre Chancen reduziert), ist ein Problem, das in demokratisch geführten Ländern weitaus erheblicher ist als in diktatorischen Ländern.

Wann und wie entstand eigentlich Ihr persönliches Interesse an den persischen und islamischen Kulturen?
Vielleicht war es die Lektüre von Goethes später Lyrik, deren Farbenreichtum, deren sinnliche Ausdruckskraft mich bewegte. Suleika war der Star einer leidenschaftlichen Liebe, die Goethe mit Sensibilität und Subtilität feierte, befreit von allen Problemen der Welt. Ich reiste sehr früh in die nordafrikanischen Länder, deren Anteil an der mediterranen Kultur mich tief beeindruckte. Da war der transitorische Geist zwischen Orient und Okzident „leibhaftig“ und „bildhaft“ greifbar.

Ist islamische Kunst eine Art abstrakte Kunst?
Islamische Kunst ist keine Abstraktion im westlichen Verständnis, aber sie hat eine erstaunliche, noch unbekannte Beziehung zur Kunst des Westens in der Gegenwart, in der anstelle der abendländischen Gestaltungsformen (das griechische „Eidos“ geht dem voraus) sowie an die Stelle dramatischer Kompositionen nun Strukturen treten. Die Naturwissenschaften des Westens sehen die Natur ebenfalls nur noch unter dem Elektronen-Rastermikroskop. Mit Hilfe abstrakter Diagramme wird visualisiert, was mit bloßem Auge nicht mehr gesehen und erkannt werden kann. Das ist das neue Weltbild von der Natur.
Die Malerei und Skulptur des Ostens zeigt nicht mehr die Natur, unseren Umraum, sie abstrahiert ihn auch nicht, wenige organische Formen, welche im Ornament zu erkennen sind, ausgenommen.

Trotz des großen Einflusses, den der Islam immer wieder auf die europäische Kunst- und Kulturgeschichte genommen hat, blieb der europäische Blick auf den Islam lange kolonialistisch geprägt. Verstanden Sie Ihr künstlerisches Interesse an diesen Ländern auch als ein postkoloniales Engagement?
Der Kolonialismus der Europäer ist eine der beschämendsten Taten, mit denen die Mächtigen die Machtlosen zutiefst gedemütigt haben, zugunsten des (vermeintlichen) Vorteils der Mächtigen, Gewinne zu machen. Europa hat auch eine Geschichte, deren diabolische Abstrusität, deren religiöser Wahnsinn, deren Fähigkeit zu mörderischem Handeln jede Vorstellungskraft überfordert, uns aber nicht von der Notwendigkeit entlässt, uns mit ihr zu konfrontieren. Wenn ich meine Werke in einem islamischen Land zeigen kann (kaufen will sie dort bislang weitgehendst niemand), dann möchte ich nicht als Kulturbotschafter bezeichnet werden, obwohl ich das de facto bin. Ich vertrete aber zuerst mich allein und fühle mich nicht als Vertreter des Westens.
Mein Einfluss ist praktisch nicht verifizierbar, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass ich schöpferische Menschen ermutige, sich ihre eigene Freiheit zu erkämpfen und zu erobern, so wie auch mir nichts geschenkt wurde. Ich habe das in der von Studenten überfüllten Aula der Universität in Teheran deutlich ausgesprochen.
Das wäre weit entfernt von der Geschichte der Kolonisation, an der auch mein Land einen oft verdrängten Anteil hat. Futurologen erklären, dass Europa eines Tages islamisch sein wird – ein weiterer Aspekt, der keineswegs abwegig ist.

Interview: Victoria Trunova

MACK. Das Licht meiner Farben
Jubiläumsausstellung zum 90jährigen Bestehen des Ulmer Museums
11. September 2015 – 10. Januar 2016
Eröffnung: 11. September, 19 Uhr
Lichthof des Ulmer Museums in Anwesenheit des Künstlers

Ulmer Museum
Marktplatz 9
89073 Ulm
Tel. +49 (0)731/161 43 30 Montag: geschlossen

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag: 11 bis 17 Uhr
Donnerstag: Sonderausstellungen bis 20 Uhr geöffnet

 

ZERO-Ausstellung zur Istanbul Biennale
Ab dem 2. September 2015 zeigt die ZERO foundation anlässlich der 14. Istanbul Biennale die erste ZERO-Ausstellung, die jemals in der Türkei zu sehen ist.
Bis 4. Januar 2016 werden im Sakıp Sabancı Museum in Istanbul rund 100 Arbeiten von Künstlern der ZERO-Kerngruppe präsentiert.

Installationsansicht: Heinz Mack: „The Sky Over Nine Columns“ (2012-2014) im Park des Sakip Sabanci Museums Private Collection Germany, Courtesy Galerie Beck & Eggeling. Foto: ZERO foundation
Installationsansicht: Heinz Mack: „The Sky Over Nine Columns“ (2012-2014) im Park des Sakip Sabanci Museums, Private Collection Germany, Courtesy Galerie Beck & Eggeling, Foto: ZERO foundation

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