MANUEL STEHLI – Winsor & Newton Stipendiat im Interview

Erstmals hat die Künstlermarke Winsor & Newton zwei Residenzstipendien in Deutschland vergeben. Eine Jury unter dem Vorsitz von Sachin Kaeley (Künstler, Berlin) wählte Aneta Kajzer und Manuel Stehli als erste Stipendiaten aus. Beide Künstler erhalten 2017/2018 für jeweils sechs Monate ein Atelier am Künstlerhaus Bethanien in Berlin, einen monatlichen Stipendienbetrag für den Lebensunterhalt, kuratorische sowie maltechnische Begleitung und eine gemeinsame Ausstellung im März 2018.

“Out of Touch. Out of Time”

Vernissage: 01. MÄRZ, 2018
Laufzeit: 01.-25. MÄRZ, 2018
Künstlerhaus Bethanien
Kottbusser Str. 10
10999 Berlin


Manuel Stehli wurde 1988 in Zürich geboren. Stehli hat in der Klasse von Prof. Annette Schröter an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und am Camberwell College of Arts in London bei Daniel Sturgis studiert. Seine Werke waren unter anderem in der Galerie Rundgänger in Frankfurt, dem Museum Haus Konstruktiv in Zürich und der Halle53 in Winterthur zu sehen. Im März werden seine Arbeiten aus der Zeit des Residenzstipendiums in einer Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien gezeigt.

Die Jury begründete die Auswahl des Künstlers mit der souveränen und entschiedenen Bearbeitung von Fragestellungen aus dem Kontext digitaler Medien mit den Mitteln der Malerei.


Lieber Manuel Stehli, Sie haben an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und am Camberwell College of Arts in London studiert. Können Sie beschreiben wie diese unterschiedlichen Lehrphasen Sie geprägt haben?

Als ich 2008 nach Leipzig zog, hatte ich eine sehr romantische Vorstellung von Malerei. Ich war besessen von den russischen Malern des 19. Jahrhunderts, malte viel unter freiem Himmel und interessierte mich wenig für die Kunst der letzten hundert Jahre. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie eine professionelle Meinung zu meinen Bildern zu hören bekommen, was sich an der HGB schnell ändern sollte. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Vorstellungen von Dozenten und Kommilitonen war sehr prägend. Während des zweijährigen Grundstudiums habe ich gelernt, meine Bilder in einem bestimmten Kontext zu betrachten und bewusster über Motiv und Komposition nachzudenken. Die ersten zwei Jahre an der HGB waren, und sind meines Wissens immer noch, vergleichsweise konservativ ausgerichtet: Eitempera wurde noch selbst zubereitet, ein großer Teil des Unterrichts war dem Aktzeichnen und Drucktechniken wie Lithographie und Radierung gewidmet und am Ende des Grundstudiums fuhr man für zwei Wochen ins ‘Landschaftspraktikum’.  Zu dieser Zeit  war die Neue Leipziger Schule allgegenwärtig und ließ niemanden von uns kalt. Besonders Neo Rauch war damals ständig Thema. Auch meine Arbeiten waren zu Beginn des Hauptstudiums stark von der Leipziger Schule beeinflusst. Den Wechsel in die Fachklasse von Prof. Annette Schröter empfand ich als befreiend. Hier gab es genug Zeit und Platz, an eigenen Ideen zu arbeiten und diese zu diskutieren. Auch die Theorie- und Philosophieseminare an der HGB waren mir sehr wichtig und haben meinen Blick geweitet. Zudem bildeten sie ein wichtiges Gegengewicht zur Selbstbezogenheit der künstlerischen Praxis.

Mein Jahr am Camberwell College of Arts in London war für mich eine sehr prägende Zeit. Die Gespräche mit John Wilkins, Dan Sturgis und anderen Professoren empfand ich als sehr erhellend, da am College Themen wie Inhalt und Konzept deutlich mehr Gewicht hatten, als ich es aus Leipzig gewohnt war. Ich begann meine immer noch recht naive und romantische Vorstellung von Malerei stärker zu hinterfragen und mit neuen Ansätzen zu experimentieren. Gleichzeitig konnte ich dort von meiner praktischen Erfahrung profitierten, die den Londoner Studenten aufgrund des sehr knappen und verschulten Lehrplans zum Teil fehlte. Einen mindestens ebenso tiefen Eindruck wie das Studium haben in London die unzähligen Museumsbesuche hinterlassen. In der National Gallery habe ich ganze Nachmittage verbracht, meistens in der Nähe von Italienern wie Piero Della Francesca – was man meinen Bildern wahrscheinlich auch ansieht.

Sie sind der zweite Stipendiat von Winsor & Newton in Deutschland und haben die Möglichkeit ein großes Studio im Künstlerhaus Bethanien und eine große Bandbreite an Farben und Malutensilien zu nutzen. Können Sie nach den ersten zwei Monaten des Stipendiums schon sagen, wie sich diese Parameter auf ihre Arbeit auswirken?

Sie wirken zuallererst befreiend. Mir wird erst jetzt bewusst, wie sehr ich mich vorher manchmal selbst eingeschränkt habe. Es macht einen Unterschied, wenn man nicht jede Farbtube einzeln kaufen muss, wobei man natürlich zweimal überlegt, ob zum Beispiel der dritte Rotton wirklich nötig ist. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mit Farben zu experimentieren, deren Namen ich vorher noch nicht einmal kannte.

Um die Größe des Ateliers voll auszukosten, habe ich gleich zu Beginn der Residency einige für meine Verhältnisse sehr große Leinwände gebaut. Die Möglichkeit, die Leinwände aus mehr als drei Metern Entfernung anschauen und außerdem mehrere Bilder nebeneinander aufhängen zu können, hat einen positiven Einfluss auf die Arbeit. Es fällt mir leichter, Neues auszuprobieren und auch wieder zu verwerfen. Dabei spielt aber auch die neue Umgebung eine Rolle. Die vielfältigen Eindrücke in Berlin motivieren mich sehr – und die Situation am Künstlerhaus Bethanien natürlich erst recht. Es tut gut und fordert, von Künstlern umgeben zu sein, die oft schon eine längere Laufbahn hinter sich haben als ich. Die Atmosphäre am Künstlerhaus ist sehr professionell und freundlich, was es ungleich einfacher macht, sachlich und kritisch über Arbeiten zu reden, ohne dass Dinge gleich persönlich genommen werden.

Und dann sind da noch die schnell näher kommende Ausstellung am Künstlerhaus Bethanien und zwei Gruppenausstellungen, die während der Residency stattfinden werden. Ich habe selten unter einem vergleichbaren Zeitdruck gearbeitet und hatte zu Beginn der Residency großen Respekt davor. Gerade scheint sich aber auch das positiv auf die Arbeit auszuwirken.

Empfinden Sie den Umzug von Leipzig nach Berlin als inspirierenden Schritt?

Auf jeden Fall. Ich habe, mit Unterbrechung, fast zehn Jahre in Leipzig gelebt und gemalt. Leipzig ist für mich in all den Jahren zur Heimat geworden, und ich mag es dort sehr, hatte aber in den letzten Jahren immer öfter ein Gefühl von Enge. Mit Leipzig hat das nur teilweise direkt etwas zu tun – ich hatte einfach das Bedürfnis nach neuen Eindrücken. Beides ist in Berlin im Überfluss vorhanden. Alles ist hier Herausforderung, kaum etwas gewohnt, und das tut gut. Ich spüre, wie ich in Leipzig einer gewissen Bequemlichkeit verfallen war und wie mich das vielleicht auch in der Arbeit hemmte. Berlin lässt es nicht zu, vor bestimmten Dingen die Augen zu verschließen. In Leipzig und auch Zürich passiert das schon leichter. Wie inspirierend die Umgebung des Künstlerhauses Bethanien ist, kam ja schon zur Sprache.

In einem Vorgespräch haben wir darüber gesprochen, dass zunehmend die menschliche Figur in Ihrer Malerei eine Rolle spielt. Können Sie beschreiben, woher diese Entwicklung kommt? Welche besondere Herausforderung stellt für Sie die Darstellung menschlicher Figuren dar?

Von den Aktstudien aus dem Grundstudium mal abgesehen, ist die menschliche Figur etwa seit dem Jahr in London ein Thema in meinen Bildern. Der Übergang von der Landschaft zur Szene war mehr oder weniger fließend: Am Anfang habe ich meine Landschaften, Bühnen gleich, mit Figuren bevölkert, die darin aber meistens ein bisschen verloren wirkten. Ich hatte damals das Kino entdeckt und bekam nicht zuletzt darum Lust, mit meinen Bildern Geschichten zu erzählen und mit komischen Elementen zu spielen, wozu die statischen Landschaften einfach nicht taugten. Meine ersten Menschen waren allerdings in erster Linie unfreiwillig komisch, sehr statisch und in plakativen, immer etwas zu pathetischen Posen gefangen. Davon gelangweilt, bin ich auf der Suche nach mehr Spontanität auf die Bewegungsstudien von Eadward Muybridge gestoßen und habe viele der Fotos als direkte Vorlagen für mehrfigurige Kompositionen verwendet. Da Muybridges Modelle in den meisten Fällen nackt sind, war es naheliegend, die Szenen aus den Wäldern und Feldern der Leipziger Schule an den Strand zu verfrachten. Diese Umstellung brachte eine Reduktion der Formen und ganz neue malerische Herausforderungen mit sich, und hat vielleicht den Grundstein für die aktuellen Bilder gelegt.

In dieser Zeit entstanden viele Strandszenen, quasi Variationen zu den immer gleichen Elementen – Menschen, Möbeln und Pflanzen. Durch die Wiederholung wurde mir bewusst, dass malerische Details, zum Beispiel eine laute Farbe an einer leisen Stelle oder eine merkwürdig gewachsene Pflanze, wirkungsvoller sein konnten als vorprogrammierte Gesten. Es ging nicht mehr so sehr darum, etwas zu behaupten, sondern vielmehr darum, mögliche Behauptungen aufzulösen oder ins Absurde zu ziehen. Vieles ist dabei ohne Absicht entstanden, und auch das unabsichtlich Komische und Starre bin ich nicht ganz losgeworden, habe aber gerade darin einen Reiz gefunden. So sind sperrigere Bilder entstanden, deren Figuren zwischen verschiedenen Ebenen feststecken: irgendwo zwischen Momentaufnahme und starrer Komposition, zwischen Pose und ertappt werden. Die psychologische Dimension, die sich darin auftat – also etwa das Verhältnis der Figuren zu ihren Körpern und den sie umgebenden Objekten, oder auch zum Betrachter – wurde zu meinem Hauptinteresse und ist es heute noch. Eine besondere Herausforderung ist es dabei, den richtigen Ton zu treffen und das Bild nicht zu sehr in die eine oder andere Richtung kippen zu lassen. Ich will nicht Geschichten erzählen oder irgendwas anprangern, sondern die Bilder im Gegenteil eher verstummen lassen. Dabei liegen den Bildern oft klischeehafte, bestimmte Erwartungen weckende Szenen und Posen zugrunde, die ich dann aber nach und nach zerlege und verändere, bis die Erwartungen zwar noch geweckt werden, aber gleichzeitig am Bild vorbei führen. Ich denke, diese Gleichzeitigkeit lässt die Bilder erst Kontakt mit dem Betrachter aufnehmen, sie ist aber eine heikle Angelegenheit. Die Frage, inwieweit es Bilder überhaupt mit Klischees und bestehenden Denkmustern aufnehmen können, beschäftigt mich ständig.

Kleiner Fragebogen zum Kennen lernen:

Lieblingsessen?

Vielleicht  die Rahm-Schinken-Pasta der Mutter eines Freundes aus der Grundschule, bei dem ich oft zu Mittag aß.

Lieblingsort?

Eine bestimmte Lichtung bei Elm in den Glarner Alpen.

Vorbild/Inspiration?

Viele. Piero Della Francesca, Luis Bunuel, Marlene Dumas, David Hockney, Henry Taylor, Ed Atkins, Marianne Wex, Robert Musil, der Algorithmus von Google Images usw.

Größter Traum?

Gute Frage.

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