Der Fotograf Jacques H. Sehy über seine Technik der Lichtzeichnung und eine Generation von Berlinern, die das Rampenlicht anderen überlassen hat. Seine Ausstellung ist vom 30.Januar bis zum 1 März 2015 in Berlin im Haus am Lützowplatz zu sehen.
Herr Sehy, drei Jahre lang haben Sie an Ihrem neuen Projekt „Berliner Köpfe“ gearbeitet. Und einhundert Protagonisten der hiesigen Kulturszene haben Sie dafür fotografiert, von Udo Kittelmann über Hanns Zischler und David Chipperfield bis Annette Humpe. Gibt es etwas, was Sie dabei über Berlin gelernt haben?
Ja, dass es hier eine andere Offenheit gibt. Es ist in Berlin zum Beispiel viel einfacher, mit Menschen Kontakt aufzunehmen als anderswo. Ich habe zehn Jahre hier gelebt, zwischen 1965 und 1975. Aus jener Zeit kannte ich noch ein paar Leute, das hat sicherlich geholfen. Aber ein ähnliches Projekt wäre etwa in Hamburg, wo ich schon sehr viel länger lebe, nicht durchführbar gewesen. Oder es hätte sich zumindest schwieriger gestaltet. Viele Berliner, die ich fotografiert habe, haben mich mit großer Selbstverständlichkeit an ihre Bekannten, Freunde und Kollegen weitervermittelt. In Hamburg ist man da zurückhaltender.
Vielleicht auch, weil man Sie dort eher als Fotografen denn als Künstler kennt?
Ich arbeite in der Tat seit langem als Fotograf. Ich habe schon in den sechziger Jahren angefangen, für Zeitschriften wie die „Brigitte“ zu arbeiten und Modefotos für Boutiquen zu machen. Später habe ich mich vor allem auf die Musikbranche konzentriert und seit zehn Jahren mache ich auch Business-Porträts für Consulting-Firmen wie Roland Berger. Aber ich stand der Kunst bei all dem immer sehr nahe. Ich bin mit vielen Galeristen befreundet und auch zu anderen bildenden Künstlern hatte ich immer viel Kontakt. Und in meiner Arbeit hatte ich immer große Freiheit und konnte viel experimentieren.
Und dabei ist mit der Zeit der spezielle Stil entstanden, den Sie Lichtzeichnung nennen…
„Foto-grafieren“ heißt ja, „mit Licht zu zeichnen“. Das ist die Übersetzung. Da ich kein richtiger Zeichner bin – ich kann keine Menschen malen, Tiere oder Häuser – dachte ich mir, ich fange einfach damit an, Menschen zu fotografieren und sozusagen mit der Lichtquelle in der Hand „auf“ ihnen zu zeichnen.
Muss man sich das wie eine Art Performance vorstellen?
(lacht) Die Menschen auf diesen Bildern befinden in einem dunklen Raum, und ich zeichne vor der lange belichteten Kamera mit dem Licht in der Hand Linien auf ihre Gesichter oder ihre Körper. Das ist ein sehr intuitives Arbeiten. Ich sehe immer nur den Punkt, nie die Linie, die ich mache. Der Rest bleibt im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Ich habe keine totale Kontrolle. Mit den Körper-Lichtzeichnungen habe ich schon 1984 angefangen. Zur Formfindung reagiere ich auf Körpergegebenheiten mit nLichtmodulationen.
Später habe ich mich auch auf Gesichter konzentriert, um Porträts zu kreieren und Persönlichkeiten einzufangen. Die Formen, die ich entwickle, finde, wachsen aus dem Arbeitsprozess heraus. Es ist ein sehr subjektives Arbeiten, das die fotografierte Person auf eine besondere Art und Weise zu fassen bekommt.
Im Grunde gibt Ihre Lichtführung also eine intuitive, innere Reaktion auf Ihr Gegenüber wieder?
Das ist schwer zu sagen. Aber die Bilder, die dabei entstehen, sind in jedem Fall Charakterstudien. Das Licht ist relativ gnadenlos, es ist kein vorteilhaftes Porträtlicht. Es sind unbearbeitete, unretouchierte Fotos. Alles läuft hier noch analog ab. Ein Effekt dieser Fotos ist außerdem, dass sich das Gesicht jeweils neutralisiert. Für die Aufnahmen müssen die Porträtierten um die 15 Sekunden stillhalten. Das hört sich nicht nach einem so langen Zeitraum an, ist aber sehr viel länger als bei normalen Fotosessions. Gerade unter den Berlinern gibt es viele Medienprofis, die eigentlich genau wissen, was sie vor einer Kamera machen müssen. Für dieses Projekt bringt solch eine Routine wenig. Durch das Stillhalten fallen die Gesichter auf sich zurück. Die meisten Porträtierten wirken so auch überraschend ernst. Es gab nur wenige Ausnahmen. Monika Grütters zum Beispiel. Ihr Gesicht hat ein natürliches Lächeln. (lacht)
Und wie kommt die jeweilige Lichtlinie dabei ins Spiel? Verdeckt oder versteckt sie nicht eher das Porträt?
Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Aber meiner Erfahrung nach ist das genaue Gegenteil der Fall. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an die Reaktion von Vladimir Malakhov, dem ehemaligen Intendanten des Staatsballetts Berlin, der in seiner Zeichnung beglückt einen Schwan erkannte. Eine Psychologin, die ich einmal porträtiert habe, war sogar ganz erschrocken, als sie ihr Porträt sah. Im positiven Sinne. Sie meinte, mir wäre es gelungen, „in sie reinzuschauen“. Was ich selbst natürlich nie so behaupten würde. Aber diese Anekdote illustriert ganz gut, was die Lichtzeichnungen mit Menschen anstellen.
Sie erwähnen Malakhov, der sicherlich auch nicht leicht vor die Kamera zu kriegen war. Die Liste der von Ihnen Porträtierten liest sich wie ein veritables Who-is-who der Hauptstadt…
Ja, bei einigen Menschen brauchte ich zwei bis drei Jahre um sie vor mein Licht zu bekommen. Das ist eine lange Zeit. Eine Zeit, in der sich Karrieren verändert haben und auch zu Ende gegangen sind. Ich habe mich zum Beispiel viel um den einstigen Kultursenator André Schmitz bemüht. Und als ich endlich einen Termin hatte, trat er zurück. (lacht) Ich wollte vor allem Menschen zeigen, deren Tätigkeitsfeld sich hinter den Kulissen befindet. Und es sollten Menschen sein, die schon relativ lange dabei sind und schon etwas bewirkt haben. Ich wollte mich vor den Leuten verneigen, die normalerweise nicht so sichtbar sind, aber trotzdem das Kulturleben der Stadt von Anfang an mit aufgebaut und mitbestimmt haben: die Kuratoren, die Intendanten, die Produzenten. Oft kennt man ihre Namen, aber ihre Gesichter kennt man nicht.
Berlin ist heute eine internationale Kulturstadt. Künstler, Tänzer, Autoren und Modemacher aus aller Welt arbeiten hier. Das war lange nicht so. Nun wird „Berliner Köpfe“ im Haus am Lützowplatz ausgestellt und erscheint unter dem Titel „Kulturhumus“ auch als Buch im Nicolai Verlag. Das wirkt, als verneigten Sie sich vor der Generation, die Berlin zu dem gemacht hat, was es heute ist, aber anderen das Rampenlicht überlassen hat…
Ja, das könnte man vielleicht so sagen. Das sind Leute u.a. wie René Block, der Westberliner Sammler und Galerist, der in den sechziger Jahren die jungen, unbekannten Maler Sigmar Polke und Gerhard Richter ausgestellt hat und seine Galerie noch heute betreibt. Oder Kristin Feireis, die den „Bücherbogen“ am Savignyplatz gegründet hat, eine Institution. Oder Karin Graf, die Literaturagentin, Dieter Kosslick, der Berlinale-Direktor oder Thomas Ostermeier, der Leiter der Schaubühne. Sie alle sind schon seit langem dabei und haben wirklich den „Humus“ dieser Stadt gebildet – den Berliner Kulturhumus.
JACQUES H. SEHY
„BERLINER KÖPFE – 100 LICHTZEICHNUNGEN“
Ausstellung: 30. Januar – 1. März 2015
Eröffnung: 29. Januar 2015, 19 Uhr
Begrüßung: Tim Renner, Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten
Einführung: Hanns Zischler, Schauspieler, Autor und Fotograf
Haus am Lützowplatz
Lützowplatz 9, 10785 Berlin
www.hal-berlin.de